Reiseberichte aus der Mongolei Jens Geu

Zwischen Taiga und Wüste


In den vergangenen Jahren war es nicht nur so, dass den einstigen DDR-Bürgern das Reisen in westliche Länder weitestgehend verwehrt war, es gab auch den entgegengesetzten Fall. So konnten westliche Ausländer beispielsweise nicht als Individualtouristen in den weiten Gebieten der Mongolei reisen. Der vorliegende Beitrag soll Erfahrungen publizieren, die von ehemaligen DDR-Reisenden gesammelt wurden, vor allem im Blick auf die Zukunft, die in diesem Land für Abenteuertouristen große Möglichkeiten bereithält. Zwar existieren noch keine verbindlichen Aussagen über Einreisebedingungen für westliche Ausländer in die Mongolei, doch auf Grund der völlig veränderten politischen Situation im Land und unserer positiven Erfahrungen kann man davon ausgehen, dass über kurz oder lang alle bestehenden Einreise- und Aufenthaltshemmnisse fallen werden. Da es für eine Einreise mit eigenem Fahrzeug in die Mongolei zur Zeit noch keine Möglichkeit gibt, ist man auf das Mieten eines Fahrzeuges dort oder auf die Hilfe guter Freunde im Land angewiesen. Das 1.5 Mill. qkm große Territorium der heutigen Mongolischen Volksrepublik erreicht man entweder auf dem Luftweg über Peking bzw. Moskau oder nach einer vier-tägigen Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn von Moskau nach Ulaanbaatar.

Nach mehreren Flugreisen in den letzten Jahren haben wir uns diesmal für den Zug entschieden, nicht zuetzt wegen des umfangreichen Reisegepäcks. Nach drei Tagen Fahrt in östlicher Richtung erreichen wir den Baikalsee, von wo aus es dann südlich in die zentralasiatische Steppe geht. Die Gegend wandelt sich, schlagartig in eine weite offene Graslandschaft im Tal der Selenge, durch welches sich der Zug aufwärts windet. Am Morgen des folgenden Tages erreichen wir die mongolische Hauptstadt Ulaanbaatar.

Um die Zeit des Wartens auf ein geeignetes Fahrzeug für die Weiterreise in Land zu verkürzen, besuchen wir die buddhistischen Klöster der 300 Jahre alten Stadt. Die Suche nach einem Fahrzeug übernehmen für uns Freunde und alte Bekannte. Offizielle Vermieterfirmen existieren noch nicht. In der Nähe der Hotels kann man aber zunehmend Privatpersonen finden, die sich mit ihren geländegängigen Fahrzeugen für solche Dienste anbieten. Die beginnende Marktwirtschaft und der sicherlich einsetzende westliche Individualtourismus werden hier bald günstigere Verhältnisse entstehen lassen. Für die meisten dürfte diese Variante jedoch unsicher und abenteuerlich sein. Man sollte also vorher Kontakt mit Privatpersonen oder neuerdings auch kleinen Privatunternehmen aufnehmen, die solche Leistungen anbieten.

Nach drei Tagen haben wir alle Probleme bezüglich Reiseroute und Reiseart geklärt und brechen zur Fahrt in die nähere Umgebung auf. Unterwegs sind wir mit einem etwa 30 Jahre alten, auf das Fahrgestell eines Geländefahrzeuges montierten PKW. Wir fahren in Richtung Norden auf einer der wenigen asphaltierten Straßen und erreichen nach 60 km Tereldsch, eine Touristenbasis im Chentii-Gebirge. Im Camp ist es möglich eine mongolische Jurte zur Übernachtung zu mieten.

Am nächsten Tag verlassen wir den Chentii wieder in Richtung Süden, und fahren weitest gehend auf Asphaltstraßen in den sogenannten Zentralbezirk. Hier trifft man noch häufig auf die Jurten nomadisierender Viehzüchter, die hier noch auf Sichtweite zueinander stehen. Eine für mongolische Verhältnisse extreme Bevölkerungsdichte, denn die Bevölkerungsdichte auf dem Lande liegt in der Regel unter einem Einwohner pro qkm. Besucht man eine solche Viehzüchterfamilie im Juli, August oder September, so hat man die Möglichkeit, Airag, die gegorene Stutenmilch, zu trinken.

Zur Übernachtung wählen wir ohne langes Suchen einen Platz auf einem der Hügel und haben einen weiten Blick auf die unbesiedelte Steppe. Eine solche Nacht in der völligen Einsamkeit der endlos erscheinenden Landschaft gehört immer wieder zu den beeindruckendsten Erlebnissen. Sie vermittelt etwas von dem Lebensgefühl, das die Menschen hier über Jahrhunderte geprägt hat.

In dieser Landschaft fehlen die asphaltierten Straßen bereits völlig. Unbefestigte Pisten markieren die Richtungen der Hauptverkehrsströme. Sie kreuzen und verzweigen sich, so dass eine Orientierung ohne Ortskenntnis nur auf den wenigen Hauptmagistralen möglich ist. In weiten Gebieten bietet die freie Kurzgrassteppe mit ihrem sanften Profil bessere Fahrbedingungen als jede Piste. Allerdings darf man dabei nie vergessen, wie empfindlich und verletzbar die hier herrschende Vegetation ist. Eine Tatsache, die jedem an Hand zahlreicher Fahrspuren und bis zu 100 Metern erosionsgeschädigter breiter staubiger Trassen deutlich bewusst wird.

Wir folgen dann eine Weile dem Laufe der Tuul, einem der zahlreichen klaren Flüsse des mongolischen Nordens, der hier in einer Schleife seinen südlichsten Punkt erreicht um dann nach Norden der Selenge zu zufließen.


Südwärts beginnt hier ein riesiges wasserloses Gebiet – allgemein als Gobi bezeichnet – eine Landschaft aus Halbwüsten und Wüsten der unterschiedlichsten Erscheinungsformen. Da wir diesen Teil des Landes bereits von Reisen vergangener Jahre kennen, kehren wir in Richtung Ulaanbaatar zurück.

In der Hauptstadt beraten wir mit Freunden die weitere Reiseroute. Wir wollen in ein Gebiet im Nord-Osten des Landes, wo sich die sibirische Taiga mit der mongolischen Steppe trifft. Dort sind schon seit einiger Zeit japanische Expeditionsteams unterwegs, die nach den Spuren der Begräbnisstätte Tschingis Khans suchen. Wir beschließen nach reiflicher Überlegung die Anreise dorthin mit einem Linienflugzeug zu verkürzen, da wir an Ort und Stelle die Möglichkeit haben ein Fahrzeug zu mieten. Die Inlandflüge bieten außerdem die beste Möglichkeit zum Kennenlernen der Landschaft, da nur in geringen Höhen bei meist guter Sicht geflogen wird. In unserem Fall bringt uns ein Hubschrauber in ca. 3 Stunden ans Ziel, die Siedlung Dadal, etwa 40 km vor der sowjetischen Grenze.
                                                                                                         
Mit Unterstützung eines hiesigen Freundes gelingt es uns, ein Geländefahrzeug samt Fahrer für vier Tage zu mieten. Wir einigen uns auf einen Preis von 60 DM pro Tag. Mitgekauft haben wir dabei die hier unbedingt erforderliche Ortskenntnis des Fahrers, da bereits große Waldgebiete und zahlreiche Wasserhindernisse die Landschaft prägen.

Wir müssen feststellen, dass wir auf Grund einer hohen Wasserführung der Flüsse Onon und Balsch mehr oder weniger eingeschlossen sind. Daraus ergibt sich, dass wir die Gegend nur in einem Umkreis von 50 km kennen lernen können. Selbst auf diesen Fahrten stoßen wir noch auf Wasserhindernisse, die uns vor Probleme stellen. Kleine Bäche sind auf Wassertiefen von über einem Meter angewachsen. Hier bietet die Landschaft ein sehr abwechslungsreiches Bild – die Ausläufer der Taiga mit Birken, Kiefern, Lärchen, wilden Aprikosen und zahlreichen Beeren, wechseln übergangslos in die offene freie Steppe, die in dieser Gegend von Blüten übersät ist.

                           

Da die Pisten lediglich als ausgefahrene Spuren existieren, lässt es sich kaum vermeiden auf solche Wiesen rechts und links des Weges auszuweichen. Der Wagen nimmt jedes mal hunderte von Edelweiß- und Enzianblüten unter die Räder. Übernachtet wird wie immer im Zelt, hier allerdings mit etwas Skrupel, da in dieser Gegend zahlreiche Braunbären zu Hause sind. Einheimische Jäger, die wir treffen, laden uns zur nächtlichen Jagd auf Elche und Marale ein. Bei der für Europäer etwas unweidmännischen Art, vom Fahrzeug aus zu jagen, wird allerdings diesmal nichts erlegt. Für uns besser so, denn die etwa 80 km Fahrt in sternenklarer Nacht durch Taiga und Steppe entschädigt für den entgangenen Schlaf.

                                                                                 

Nach vier Tagen treffen wir wieder in der Siedlung Dadal ein. Es ist Sonntag und Wahltag für das erste freie Parlament im Lande. Wir werden von örtlichen Organisatoren der Sozialdemokratischen Partei ins Wahllokal eingeladen. Eine Blockhütte in der Taiga, in der über ein zukünftiges Parlament entschieden wird, interessiert uns natürlich. Bei dieser Gelegenheit lernen wir auch den Piloten kennen, der mit seinem Doppeldecker die Linie ins Bezirkszentrum Önderkhan fliegt. Er lädt uns zu einem Rundflug über das Gebiet ein, das wir jetzt bereits kennen gelernt haben, allerdings aus einer anderen Perspektive. Diesen Abschluss lassen wir uns natürlich nicht entgehen. Im Gegenzug bedanken wir uns mit ein paar Mark und mehreren Flaschen Wodka. Relativ problemlos klappt dann auch der Rückflug nach Ulaanbaatar. Die verbleibenden Tage bis zum endgültigen Rückflug nutzen wir dort noch zu kurzen Fahrten in die Umgebung

                                                                                                                                                                                                                                                   
Zusammenfassend kann gesagt werden: Ein Land, das in der Zukunft für Individualreisende einige Überraschungen bereit hält, mit zunehmender Liberalisierung auf allen Gebieten, verbunden aber auch mit einer damit zunehmenden Kommerzialisierung. Bei Reisen im Lande sind neben Zeit und Geduld unbedingt Kontakte notwendig, die man bereits vorher knüpfen sollte. Gerade für den Individualreisenden ist es auch wichtig zu wissen, dass er hier nicht in ein Entwicklungsland im gewohnten Sinne reist. Hier trifft er auf eine relativ intakte, allerdings noch planwirtschaftlich geprägte Gesellschaft, was sich auch in einem hohen Bildungsniveau der Bevölkerung widerspiegelt. Also Vorsicht vor Überheblichkeit und vorschnellen Urteilen!

Abschließend bleibt nur noch zu hoffen, dass dieser für westliche Touristen weiße Fleck recht bald Farbe bekommt, aber vom Massentourismus besser doch verschont bleibt.

Jens Geu, Sommer 1991