Reiseberichte aus der Mongolei Jens Geu

Vier Stockwerke genehmigt, vierzehn gebaut – Boom Town UB


Die Überschrift soll kein Gag sein um Leser zu interessieren, sie ist alltägliche Realität in der mongolischsten aller Städte. Ja typisch mongolisch ist diese Stadt heute, auch wenn die traditionelle Lebensweise der Mongolen, außer der heute viel gerühmten „Dschingis Khan Metropole“ Kharakorum, bisher kaum Städte kannte, Ulaanbaatar ist aber genau das Gebilde, das unter gegenwärtigen Bedingungen entsteht, wenn Mongolen dass tun, was sie für richtig halten, aus ihrem eigenen Empfinden heraus gestalten.

Ganz deutlich wird das beispielsweise bei dem krassen Widerspruch zwischen neuen Hochhäusern mit verspiegelten Glasfassaden und Strassen davor, die kaum besser sind als die Feldwege in der mongolischen Provinz. Nun gut, die Hochhäuser werden von Privatunternehmen gebaut, die haben Geld und zahlen kaum Steuern, die Straßen muss der Staat unterhalten und der hat praktisch überhaupt kein Geld weil die anderen ja keine Steuern zahlen, aber es steckt da auch echte mongolische Mentalität dahinter, das Fahren auf einer Straße gehört in der Mongolei eben zum persönlichen Lebensrisiko warum soll das in der Metropole anders sein.

Es gibt heute eine kaum überschaubare Zahl von Kneipen und Restaurants, etliche davon würden selbst in Berlin oder Rom noch eine gute Figur machen, aber um dahin zu gelangen zwängt sich derjenige, der nicht das Taxi wählt, in einen mit zwanzig Leuten besetzten verbeulten Mikrobus der so eher irgendwo in Afrika zum Marktag fahren würde. Erstaunlich, aber wiederum mongolisch ist, dass weder Politiker noch Bürger über das Problem des, in Deutschland würde man sagen öffentlichen Personennahverkehrs, reden. Man baut Golfanlagen, Einkaufszentren und Bürokomplexe, aber keiner redet in der Millionenstadt über den Nahverkehr, der Mongole denkt lediglich, da wird sich schon irgendwie was finden bis jetzt kommt man ja auch überall hin, wenn es sein muss.

Privat gebaut wir überall, wo der Laie denkt man kann da noch ein Gebäude hinsetzen, Strom und Wasser wird dann schon einer hinbringen und für das Abwasser kauft man eben einen alten Tank und der kriegt dann im Boden erstmal ein entsprechendes Loch verpasst. Auf diese Weise kriecht die Stadt hinauf in die Seitentäler des Chentii und es sind nicht nur einfache Holzhäuser, die da die Natur verdrängen, gerade in den schönsten Seitentälern oberhalb von Gatshurt bestimmen wirklich komfortable Anwesen das Bild.

Wenigstens etwas planmäßiger und geordneter sehen die neuen Wohnanlagen in Zentrumsnähe aus, hier planen Investoren ganze Stadtviertel für dicke Geldbörsen, mit eigenen Kindergärten, Freizeiteinrichtungen und Sicherheitsdienst. Nun kann man darüber die Nase rümpfen, aber wer in UB schon einmal mit den dreifach gesicherten stählernen Wohnungstüren zu tun hatte, der dürfte nichts gegen einen Sicherheitsdienst haben, denn mit der Millionengrenze, die gerade fällt, bröckelt nun auch das Bild von der sicheren Stadt. Das bedeutet nun noch nicht, dass man auf Schritt und Tritt gefährdet ist, aber mongolische Kriminalität hat eigene Regeln und dazu zählt, dass Wohnungen so was wie Selbstbedienungsläden sind wenn der Hausherr nicht daheim ist, vielleicht ist das die falsche Übertragung der alten Regel auf dem Lande, dass eine Jurte in Abwesenheit nicht verschlossen wird und von jedem Schutzsuchendem benutzt werden darf.

Um doch wieder zur Überschrift zurückzukommen, da hat doch wirklich ein Unternehmer die Genehmigung für einen neuen Gebäudekomplex an der berühmten Westkreuzung nahe dem Gandan Kloster bekommen, vier Stockwerke wurden ihm genehmigt, nun kann man darüber streiten, ob im Zentrum einer asiatischen Großstadt vier Stockwerke angemessen sind und der Beamte mit seiner Auflage dem Investor eins auswischen wollte, aber es wäre nicht die Mongolei, wenn der Investor nicht zurückschlagen würde, so setzt er eben noch mal zehn Etagen drauf, dem Bild einer Großstadt tut´s gut, der Beamte ärgert sich und der Staat hat sich wieder mal blamiert. Es ist der Bevölkerung auch schwer zu vermitteln, warum man in der Citylage mit Stockwerken geizen soll, währen auf dem Bogd Uul, einem der heiligsten Naturschutzgebiete, ein überdimensionales Touristencamp mit Rambazamba Disko genehmigt wird. Apropos Disko, die Stadt hat da wirklich einiges zu bieten, richtig gute technisch und optisch perfekte Läden, die im Umkreis von einigen tausend Kilometern eines gleichen suchen, aber darüber hinaus ist das ganze so eine Art Volkssport geworden. Selbst bis in Viertel, die nur noch aus Bretterbuden bestehen sind Etablissements gelangt an denen heute Disko dransteht, kaum eine touristische Einrichtung kommt heute ohne Diskoschmalz der 80er Jahre aus. Freizeit und Disko gehören heute für den Mongolen zusammen wie die Satellitenantenne zur Jurte. Es würde nicht wundern wenn bald das erste Reiseunternehmen eine mobile Disko im UAS für unterwegs anbieten würde.

Warum soll nun aber gerade diese Stadt typisch mongolisch sein? Die so genannten Aimak Städte sind es zumindest nicht, die sind vor zwanzig, dreißig Jahren von russischen Planern aufs Papier gebracht worden blieben immer unvollendet und sind heute fast leblos, ohne Initiative denn wer was davon verspürt der geht dort einfach weg. UB dagegen zeigt eigentlich alles dass, was man als typisch mongolische Eigenschaften charakterisieren könnte. Das ein Gesetz in der Mongolei genau drei Tage gilt, wie man es mal als Sprichwort geprägt hat, sieht man hier genauso, wie das ungezügelte Interesse an allem Modernen. Das was man persönlich nicht beeinflussen kann, wie die katastrophalen Strassen oder den Ausfall der Warmwasserversorgung nimmt man als Naturgewalten wie ein Gewitter in der Steppe hin, da kann man auch nur warten bis es besser wird. Die Weite und Einsamkeit in der Steppe tauscht man gern gegen Enge und Gedränge, gleich so, als ob man Angst davor hat, jemals wieder in der Steppe einsam zu sein.

Zu alle dem gesellt sich in UB das Bild der modernen Nomaden, die in alle Welt ausgeschwärmt sind, als Lohnarbeiter, Studenten oder Ehefrauen, die dann zumindest zeitweise wieder zurückkehren und in diese Stadt und das mitbringen, was sie bei ihren friedlichen Feldzügen erlebt haben. Von weltstädtischer Mode über aktuelle Musikkultur, internationale Küche und architektonische Spielereien bis hin zu fremden Lebenseinstellungen, alles das wird hier auf mongolisch improvisiert und kopiert. Oft wirkt es etwas unprofessionell aber das hat oft schon wieder eigenen Charme.

Interessant ist Ulaanbaatar im Jahr 2005 allemal, aber was es auf keinen Fall mehr ist, vielleicht auch nie war, eine langweilige sibirische Plattenstadt, wie so mancher Reisebericht vermitteln möchte. Es ist nach fast 800 Jahren Schattendasein der Mongolei am Rande der Weltgeschichte, erstmalig wieder eine Art Kharakorum entstanden, etwas womit die Mongolen Anschluss an die globale Welt gefunden haben. Vermutlich wird die heutige Metropole an der Tuul von längerem Bestand sein, als damals die mittelalterliche Stadt am Orchon.

Jens Geu