Reiseberichte aus der Mongolei Jens Geu


Mongolei ist "in" – ein Bericht über Leute, die in die Mongolei reisen




Im Flugzeug von Berlin nach Ulaanbaatar sitzt neben mir eine fast festlich gekleidete alte Dame und ließt in ihrem Reiseprogramm. Halb schräg, kann ich irgendetwas von biblischen Reisen erkennen. Biblische Reisen in die Mongolei? „Ja“ sagt die Dame, „es geht mir um spirituelle Dinge im Buddhismus, um Tempelanlagen und religiöse Traditionen“. Vom Land selbst hat sie kaum Vorstellungen; das merke ich bereits nach kurzer Zeit. Auch das Outfit verrät, dass sie bis jetzt eigentlich gar nicht realisiert hat, dass sie in den nächsten Tagen auf einer dünnen Isomatte im Zelt irgendwo in der Steppen- und Wüstenlandschaft Zentralasiens übernachten wird. Möglicherweise wird ihr diese sicher vollkommen neue Erfahrung am Ende mehr bedeuten, als die Ruinen der Klosteranlagen, wegen dieser sie die zehn Stunden Flug auf sich genommen hat.

Ja, es gibt heute viele Gründe, in die Mongolei zu reisen. Am Anfang kamen, wie der mongolische Dichter Galsan Tschinag sagte, die Ländersammler, die ihre Exposition um ein exotisches Ziel bereichern wollten. Und heute, zwölf Jahre nach der vorbehaltlosen Öffnung für jeden, da sind natürlich die traditionellen Mongoleireisenden, Leute, die schon einen Teil Lebenserfahrung mitbringen und die sich magisch angezogen fühlen, von dem auf den ersten Blick intakten Leben in der Steppe, im Einklang mit der Natur und im Frieden mit sich selbst. Darunter ist zum Beispiel der Intellektuelle, der bereits das dritte Mal in die Mongolei reist und schon von seiner „Familie“ spricht, wenn er die Viehzüchter meint, die er jedesmal besucht. Ihn interessiert nahezu alles am Leben der Nomaden, die eigentlich gar keine sind. Der schickt sogar Geld für den Wintervorrat Heu an seine „Familie“ oder eine Schultasche für die Kinder. Er sitzt zwei Wochen mit am Jurtenfeuer, treibt das Vieh am Abend zusammen und fühlt sich einfach gut in der Steppe.

Auch fast traditionell fährt der Jäger in die Mongolei. Wie bereits vor der politischen Wende tummeln sich die finanzkräftigen westlichen Trophäenjäger in speziellen Camps und vertreiben sich die Zeit mit Alkohol und Jägerlatein bis der geplante Abschuß stattfinden kann, manchmal sogar mit dem Helikopter. Vom Land verstehen sie eigentlich gar nichts, aber auf Grund ihres guten Umsatzes sind sie dennoch gern gesehen. Wenn man mich fragen würde – man könnte gut und gerne auf sie verzichten, auch in Hinblick auf den Umsatz. Natürlich kenne ich auch Ausnahmen, aber die sind selten.

Wesentlich umgänglicher sind da die Reiter, die oftmals nur wegen der günstigen Reittouren angelockt werden, aber sehr bald im Erlebnis mit der Natur und den Menschen zu echten Mongolei-Fans aufsteigen, wie der Beamte aus einer deutschen Umweltbehörde, der auf einmal einen anderen Blick für Naturschutzprobleme bekommt. Irgendwie erscheint ihm die heimische Umweltbürokratie so kleinlich und uneffektiv in Anbetracht der gewaltigen ursprünglichen Landschaften. Gerade der Reiter bekommt ganz schnell das Gefühl, dass er hier hin gehört. In diesem Land ist der Reiter Teil der Landschaft und das Pferd kein touristisches Sportgerät, sondern Verkehrsmittel.

Eine andere Fortbewegung bietet das Fahrrad. Man trifft den Fahrradfahrer meist bei Gegenwind und mit stark verzerrtem Gesicht in der endlosen Steppe, zu zweit oder gar allein gegen die Kilometer ankämpfend. Er will den Kampf unbedingt gewinnen, den er sich so hart oft nicht vorgestellt hat. Die Mongolei dient ihm eigentlich nur als geographische Kulisse. Das eigentliche Ziel sind die Strecken und die extremen Bedingungen. Der Radfahrer ist auch selten gelassen und wirklich frei in dieser eigentlich so freien Landschaft. Mit ihm fährt immer ein Bangen, was wohl mit seinem Rad am nächsten Tag sein wird. Geschichten von einigen, die ihr Rad am morgen nicht wieder gesehen haben, machen die Runde. Ja, Fahrräder werden auf der ganzen Welt gern geklaut und manche brechen auch mal ganz einfach durch, denn die Straßen der Mongolei sind erodierte Fahrspuren. So hängt auch der Eindruck des Radfahrers unmittelbar damit zusammen, ob er sein Ziel erreichen konnte oder nicht. Trotz der Tatsache, dass sie nicht so richtig in diese Landschaft passen, nimmt die Gilde der Fahrrad fahrenden Touristen in der Steppe zu.


Vermutlich etwas im Rückgang betroffen dagegen ist die Sparte der Extremsportler, da die bekannten Events schon abgearbeitet sind. Die bekannten Berge sind alle erklettert, mit Ski und Snowboard, am besten auf dem Fahrradgepäckträger, ist eigentlich auch schon überall jemand gewesen und zu Fuß durch möglichst wasserlose Regionen der Gobi ist auch nichts neues mehr. Es blieben da eigentlich nur noch solche Sachen, wie im Eichenfass den Tschulut befahren oder auf einem Wok den Gletscher am Tawan Bogd hinabrutschen.

Aber mehr und mehr kommen auch Leute, die man sonst in Italien, Frankreich oder Spanien trifft. Nicht unbedingt die, die nur zum baden dahin gefahren sind, aber doch Leute, die einfach, sagen wir mal, erlebnisreiche Tage in beeindruckender Landschaft erwarten. Da ist zum Beispiel der junge Lehrer, für den die Abende am Lagerfeuer kaum lustig genug sein können und für den der Spaß genauso wichtig ist wie die Information. Menschen, die vor drei, vier Jahren noch nicht in die Mongolei gefunden haben, sich aber hier schnell wohl fühlen. Ein bisschen Abenteuer, ein wenig Kultur und atemberaubende Landschaften in einer sicheren Umgebung. Man kann einfach sagen, spätestens seit dem Aufenthalt des Pop-Meisters DJ Bobo, die Mongolei ist Hipp. Amerikanische Kinostars geben sich schon seit langem die Klinke in die Hand, meist auf einem esoterischen Trip oder auf dem Weg zurück zur Natur. Richard Gere, Steven Segal oder Julia Roberts haben ihre Spuren in dem Land hinterlassen.

Das Szenario Mongolei war sogar der Klamottenmarke s’Oliver eine Reise nach Asien wert. Der aktuelle Winterkatalog enthält Motive aus der Mongolei, die so in Szene gesetzt sind, dass man fast denkt, die Modelle wären in der Steppe entworfen worden.

Nicht zuletzt kann man auch über einen gewissen Polittourismus sprechen. Der große offizielle Staatsbesuch der deutschen Führungsspitze hat, abgesehen von Roman Herzogs Reise, noch nicht stattgefunden, aber Politiker der zweiten und dritten Reihe tummeln sich vor allen in den warmen Monaten nicht nur in UB, sondern machen auch mal den einen oder anderen Abstecher in die fast menschenleere Steppe. Naturgemäß musste man denken, die Grünen ziehe es vor allem in die Mongolei, aber nein es sind eher CDU- oder SPD-Abgeordnete gewesen, die den Mongolen ihre Aufmerksamkeit gewidmet haben.

Irgendwo erwähnt werden muss auch noch die Reise deutscher Opernfreunde nach UB, die eigens für eine Premiere der „Lustigen Weiber von Windsor“ dahin gedüst sind. Beinahe wären sogar die deutschen Skatbrüder in die Mongolei eingefallen, aber die etwas geschmacklose Kartenspielerreise eines deutschen Veranstalters in die mongolische Hauptstadt hat wegen Kundenmangel dann doch nicht stattgefunden. Nichts desto trotz, man gewinnt 2002 den Eindruck, die Welt hat die Mongolei entdeckt und jeder will jetzt dabei gewesen sein.

Jens Geu, 2002