Die acht geheimnisvollen Seen
Naiman Nuur, die acht geheimnisvollen Seen im südlichen Changai liegen noch etwa 80 Kilometer entfernt. Geheimnisvoll deshalb, weil man seit Jahren nur noch zu Fuß in das Tal gelangen kann und damit ist aus dem ehemaligen nationalen Touristikhighlight ein nahezu verschlossenes Kleinode geworden ist. Es gibt zwei Möglichkeiten es dennoch zu besuchen, das ist zum Einen der etwa 10 Kilometer lange Fußweg durch dichte Taiga von Norden bis zum Pass in das Tal, den man über Bat Uldzii und dem Orchon Wasserfall aus erreicht, oder die steinige Anfahrt aus Uyanga kommend bis zum Pass am südlichen Talende.
Wir haben die südliche Zufahrt gewählt, die auch von Mongolen benutzt wird, da man mit dem Auto, wenn auch sehr mühselig, wenigstens bis zum Pass oberhalb des Tales gelangt. Der reine Fußweg von Norden ist für Mongolen keine wirkliche Alternative. Die südliche Zufahrt lässt sich auch recht gut in eine Tour einbauen, wenn man aus der Gobi kommt und da waren wir eben in den letzten acht Tagen, im Gurvan Saichan Gebirge, den Sanddünen des Khongrijn Els und im versteckten Artz Bodg Gebirge.
Letztes Aimakzentrum vor dem Ziel Naiman Nuur ist Arwaicher, an der Grenze zwischen Wüstensteppe und Changai Gebirge. Von hier ist es auf recht guter Naturpiste für mongolische Verhältnisse eigentlich ein Katzensprung bis zur Siedlung Uyanga. Auf dem Weg dahin zeigt sich schon einmal der noch schneebedeckte Kamm des Gebirges.
Um die 3000 Meter zieht er, hier in ost-west Richtung verlaufend, eine deutliche Grenze zwischen den baumlosen sanften Vorgebirgen und den tiefen, teilweise bewaldeten Tälern des südlichen Changai. Die Siedlung Uyanga liegt noch vor dieser Mauer und hat trotz der ungünstigen Lage eine erstaunliche Entwicklung genommen. Normalerweise sind solche Siedlungen, die sozusagen am Ende einer Sackgasse liegen, die verschlafendsten Nester im Lande, denn Haupterwerbszweig vieler Kreiszentren ist ja der Verkauf von Benzin und Lebensmittel an Vorbeifahrende. Uyanga hat aber eine andere Einnahmequelle, Uyanga ist eine Goldgräberstadt. Eine Goldgräberstadt im wahrsten Sinne des Wortes, hier ist keine Minengesellschaft mit industriellen Abbaumethoden am Werk, hier buddelt jeder der will . Man kann hier alle Formen des Abbaus beobachten. Unten am Talanfang stehen noch die Anlagen von kleinen Firmen, eine Waschanlage, ein Bagger, zwei, drei LKW und Hochleistungspumpen die Wasser aus aufgestauten Teichen über das abgegrabene Material in der Waschanlage düsen.
Etwas weiter oben oder in den kleinen Seitentälern stehen die echten Ninjas. Hier bestehen die Waschanlagen nur noch aus selbst gebastelten Trommeln, kaum größer als ein 200 Liter Fass und ein Dieselaggregat liefert den Strom für eine Pumpe oder den Elektromotor an der Trommel. Wer zu den noch nicht so erfolgreichen Schürfern gehört dreht auch einfach mal die Trommel mit der Hand. Dazwischen Jurten zum Wohnen, welche die Imbissbuden darstellen sollen oder Waren des täglichen Bedarfs verkaufen. Die Zahl der Jurten wird nach hunderten gemessen, die der Ninjas geht weit über eintausend hinaus, vielleicht sind es sogar zwei oder dreitausend. Ganz am Ende der Abbaukette sitzen die völlig armen Teufel, in kleinen Löchern hockend, mit einer einfachen Plastikschüssel versuchen sie aus dem Schlamm die Goldkörnchen herauszuschwabbern. Es ist mit Sicherheit die Minderheit, die auf diese Weise versucht am Glücksspiel teilzunehmen, die Mehrzahl ist schon recht gut organisiert und auch leidlich technisch ausgerüstet. Das Schürfgelände mit seinen beachtlichen Ausmaßen kann man im Übrigen nur dann sehen, wenn man am nördlichen Ortsrand von Uyanga den Fluss überquert und dann zwei, drei Kilometer in nordöstliche Richtung fährt. Im Ort selbst sieht man nicht viel, was auf den ersten Blick auf den Bergbau hindeutet. Abgesehen von der Tatsache, dass ein relativ gut sortierter Supermarkt eher weniger zu einem Kreiszentrum am Rande der Welt passt und vor dem Imbiss Landcruiser parken.
Wir tanken noch mal ordentlich voll und suchen dann die Zufahrt zum Naiman Nuur Tal. Der Weg folgt weitgehend dem Schurangijn Fluss.
Es wird mit jedem Kilometer grüner und an günstigen Nordhängen des Gebirges zeigen sich erste Nadelwaldinseln. Wenn auch die Landschaft immer schöner wird, bei dem Fahrweg ist da eher das Gegenteil der Fall.
Oft versperrt Sumpf die Fahrt am Talgrund und der Fahrweg drängt sich an den Rand der Berghänge, hier machen aber Schräglagen und Steinbrocken das Vorwärtskommen schwierig. Oft ist in dem Gewirr von Steinbrocken auch nicht klar, wo eigentlich der beste Weg verläuft, die Spuren verzweigen sich und zeugen von vielen Versuchen die andere vorher unternommen haben den wohl besseren Weg zu finden. Als man dann den Eindruck hat, dass es überhaupt nicht mehr weiter geht kommen zwei Jungs auf ihrem Motorrad. Sie sind der Meinung, dass der Weg bis zum Pass ist in Ordnung, was er aus ihrer Sicht sicherlich auch ist, denn mit einem schmalen Motorrad findet man natürlich wesentlich einfacher einen passablen Weg durch diesen Irrgarten. Die Landschaft wandelt sich relativ schnell in eine Hochgebirgskulisse. Die schmale Baumzone, die sich hier nur über zwei- oder dreihundert Höhenmeter erstreckt, denn darunter herrscht reine Trockensteppe, ist schnell überschritten und die Vegetation der Hochfläche wechselt von Steppe auf Tundra. Die ersten unmittelbaren Blicke auf die Firnfelder der Gipfel sind frei und die darunterliegenden gewaltigen Blockschotterfelder sind schon deutlich auszumachen. Vier Jurten in Reih und Glied passen nicht so richtig in diese Landschaft, in dieser kalten und ungeschützten Lage würde eigentlich kaum jemand den Sommer verbringen, es sei denn, es gibt noch andere Gründe und genau das ist der Fall. Unmittelbar neben der ersten Jurte ist ein Schlagbaum errichtet und ein Nationalparkschild trennt die Landschaften. Nun passiert vor dem Schild nichts wesentlich Anderes als hinter dem Schild, die Viehzüchter weiden ihr Vieh, da wo es einen Sinn macht stehen ihre Jurten, die Vegetation ist natürlich auch die Gleiche und für die Tierwelt hat der Schlagbaum auch keine wirkliche Bedeutung. Der Grund für den Schlagbaum ist eigentlich ganz profaner Natur, dahinter beginnt der eigentliche Weg zum Tal der Acht Seen und die bieten eine Landschaft mit wirklich schönen Aus- und Anblicken, die schon immer Besucher angezogen hat und für die öffnet sich die bewusste Schranke erst, wenn die Eintrittsgebühr entrichtet wurde. Die Erhebung der Eintrittsgebühr ist in der Mongolei oft das wesentlichste Kennzeichen eines Nationalparks, sonst gibt es kaum Unterschiede zum Rest des Landes zumindest was die Benutzung oder irgendwelche Eingriffe betrifft.
Dass dies häufig auch so ist, sieht man schon wenige Meter hinter dem ominösen Schlagbaum. Aufgewühlte Schlammlöcher zeugen davon, dass es eine Reihe von Sonntagsfahrern mit großen Geländewagen versucht hat die Passhöhe zu erklimmen. Anderseits hat es die Nationalparkverwaltung bis heute nicht geschafft, für diesen ziemlich heiklen Streckenabschnitt mal wenigstens mit einfachen Mitteln eine Fahrspur zu markieren und vielleicht das eine oder andere Sumpfloch in der Piste zu entschärfen. Nach ungefähr einem halben Kilometer haben genug von dem Geschaukel im Schritttempo zwischen Sumpflachen und Steinbrocken und erklären eine trockene Stelle umgehend zum Basislager für die nächsten drei Tage.
Um es mal deutlicher zu sagen, der beste Schutz der mongolischen Natur ist eigentlich die Tatsache, dass praktisch niemand da ist, sie zu zerstören, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Anderseits bietet die Festelegung eines Nationalparks nur solange Schutz, solange nicht irgendjemand andere Absichten hat. Es ist auch meist so, dass zum Nationalpark erklärte Landschaften natürlich erheblich mehr Besucher anziehen, die sich bei anderthalb Millionen Quadratkilometer Natur sonst gar nicht dorthin verirrt hätte.
Hier ist es aber so, dass die Besucherzahlen im Vergleich zu früheren Jahren deutlich zurückgegangen sind, das liegt zum Einen an dem Fakt, das andere Nationalparks heute wesentlich bekannter sind und an der Tatsache, dass die Zufahrt zum eigentlichen touristischen Höhepunkt, den Seen, nicht mehr möglich ist und alle, die dennoch ans Ufer wollen einen ordentlichen Fußmarsch absolvieren müssen. Der gemeine mongolische Ausflügler will aber mit seinem Jeep, dem Klappstuhl und der Kühlbox bis an den Ort der Sehnsucht heran fahren. Ein Ort der Sehnsucht sind die acht Seen in dem engen Hochgebirgstal aber ohne Zweifel.
Heute ist jedoch kein Anderer auf die Idee gekommen hier herzureisen und unsere drei kleinen Zelte sind die einzigen menschlichen Behausungen im Hochtal. Die Jurten der Parkwächter sind bereist hinter einem Hügel verschwunden und man kommt sich schon recht erhaben vor, umgeben von diesem Panorama in über zweitausendsechshundert Metern Höhe.
Das Ziel der ersten Tageswanderung sind die Firngipfel östlich des Passes. Wege oder Pfade gibt es natürlich nicht und somit ist es notwendig sich zunächst selbst einen Plan zu machen, denn das was von Weiterem wie grüne Wiese erscheint ist typische Tundra, also mehr oder weniger ein flächendeckender Sumpf. Rinnsaale,
kleine Bäche und Tümpel haben alles unter Wasser gesetzt und wer nicht schon vor dem eigentlichen Höhenanstieg bis zum Knie im Wasser gestanden haben will muss sich über erhöhte und trockene Stellen hangeln. Die Vegetation der Tundra in den Hochlagen des Changai ist mit der des Hohen Nordens Sibiriens vergleichbar, es herrschen dieselben klimatischen Bedingungen, Dauerfrostboden, lange kalte Winter, kurze Sommer mit doch recht hohen Tagstemperaturen dadurch entsteht eine recht artenreiche Krautschicht auf einem tropfnassen Torfboden. Anzutreffen ist diese Vegetation überall da, wo es nicht allzu steil geneigt ist in den Hochlagen zwischen etwa 2500 und 2800 m. Überraschend ist das auch noch in sofern, da in den kaum 100 Kilometer südlich liegenden Hochtälern des Gobi Altai trockene Steppe vorherrscht und keine Spur von Tundra zu finden ist. Der Grund ist die Tatsache, dass trotz der räumlichen Nähe der Changai ein humides Klima aufweist, der Altai aber aride ist. Das heißt, der Niederschlag bildet im Changai im Vergleich zum Gobi Altai immer einen Überschuss bezogen auf die Verdunstung. Im Gobi Altai ist die Verdunstungsfähigkeit immer deutlich größer als die gelegentlich fallenden Niederschläge. Genau das zeigt sich auch schon an diesem Nachmittag, der Himmel über den Gipfeln ist überwiegend bewölkt und am Ende des Tages kommt sogar ein kurzer Regenschauer über den Kamm des Gebirges in den vorhergehenden acht Tagen Gobi war kein Tropfen Regen gefallen.
Nach einem kurzen Anstieg auf den nahen Höhenrücken ermöglicht sich ein Blick in das östlich gelegene Tal, oder besser gesagt in den Kessel. Ein Trichter eines ehemaligen Vulkans, den man so dort eigentlich nicht vermutet hat. Ein Bergsee im Kessel sorgt noch zusätzlich für richtiges Hochgebirgsambiente. Der Trichter selbst wird es so auf 600 Meter Tiefe bringen, kleine Zungen von Firn reichen bis tief hinein.
Dem ersten steileren Anstieg folgt ein längerer eher flacher Abschnitt, bis es dann hauptsächlich über Verwitterungsschutt und Platten auf den Hauptgipfel geht der sich östlich des Passes zum Naiman Nuur Tal erhebt. Er hat mit 3130 Metern fast die gleiche Höhe wie der nahe Kraterrand bietet aber die schöneren Blicke ins Tal der Acht Seen. Die Firnkappe, die ihn jetzt Ende Juni noch bedeckt ist bis zu einem Meter stark. Der blick in das Tal der Acht Seen erinnert an eine norwegischen Fjordlandschaft, baumlose und teilweise schneebedeckte flache Bergkuppen gehen in bewaldete Steilhänge über und die verschlungen Trogtäler sind mit dem Wasserspiegel de Schireet Nuur gefüllt.
Nun ist das zwar nicht spektakulärer als in Skandinavien, aber der eigentliche Kick, ist die Tatsache, dass man sich hier kaum 100 Kilometer von den nächsten Sanddünen der Gobi bewegt.
Der Abstieg gibt nach einmal die Möglichkeit spektakuläre Blicke in den Vulkantrichter zu erlangen, eine Landschaft die so ganz anders ist als in dem nördlich gelegen Tal.
Mit erreichend des kleinen Zeltlagers setzt ein leichter Regen ein, nach sieben Tagen Trockenheit freut man sich sogar schon ein wenig darüber. Wenig später taucht auch ein recht verwegen aussehender Reiter auf der mit einem alten Jagdgewehr auf dem Rücken so recht das Klischee von mongolischer Freiheit bedient. Er setzt sich selbstverständlich zu uns und es entspinnt sich auch gleich ein Gespräch mit dem Fahrer und unserem mongolischen Begleiter. Es ist absolut üblich, dass man sich unter Mongolen auf dem Lande schon nach zehn Minuten so unterhält als ob man sich schon ewige kennt aber lange Zeit nicht gesehen hat. Eine Erfahrung, die man natürlich nur machen kann, wenn ein guter Dolmetscher dabei ist, allein unterwegs, wird der Mongole zwar auch immer herbei kommen und sich zum Small Talk setzen, außer ein paar Phrasen wird aber nicht viel passieren können. So aber erfährt man schon innerhalb der ersten Sätze, dass der Reiter auf die Jagd nach einem Wolf gegangen ist, der sich kürzlich am Vieh vergriffen hat und das er ab und zu Pferde für Touristen bereitstellt und dann mit Ihnen das Naiman Nuur Tal durchquert. Er sagt auch, dass es jetzt im Juni fast jeden Abend etwas regnet, was sich zumindest am nächsten Abend auch wieder bestätigen soll. Der Gast bekommt natürlich auch die obligatorische Schale Tee und irgendetwas was schnell aus der Brotkiste herbeigeholt wurde. Die Gastfreundschaft ist in der Mongolei keineswegs eine Einbahnstraße, genauso wie der Reisende in Jurte immer etwas gereicht bekommt, erwartet man von dem Touristen der sich mit seinem Zelt in der Steppe niedergelassen hat die gleiche Geste.
Trotz der Höhenlage wird die Nacht nicht allzu kalt, es bleibt deutlich über der Nullgradmarke, die südliche Lage und die Nähe zur Gobi wirkt sich aus.
Der nächste Tag beginnt mit trübem Wetter, etwas schade denn die Wanderung durch das Tal der Seen hat natürlich bei Sonne mehr zu bieten. Gerade als das Frühstück fertig ist taucht ein Mikrobus auf, sein leichter Allradantrieb ohne Sperren taugt eigentlich nicht für diesen Weg und es dauert auch nicht lange und das Gefährt hängt unweit vom Camp in einem Schlammloch fest. Zehn Leute steigen mit großem Holdrio aus und versuchen Das Gefährt wieder flott zu kriegen. Eine typische Ausflugsgruppe aus dem Provinzzentrum auf dem Weg zum Picknick, es soll aber die einzigste an diesem Tag bleiben. Irgendwie schafft man es doch das Auto bis zum Pass hochzubringen, hier ist dann aber wirklich Schluss, Geröllmassen versperren die Weiterfahrt auf dem alten Weg bis zum Ufer des Schireet Nuur.
Obwohl wir die ganze Strecke zum See gelaufen sind trifft die lustige Reisegruppe erst später am See an. Was allerdings schon da ist, ist Müll, nicht von dieser Gruppe eher Altlasten, aber es gibt kaum eine Stelle wo nicht irgendwo eine alte Dose oder eine Flasche herumliegt. Hier schließt sich dann wieder der Kreis zu dem erwähnten Schlagbaum, warum sammeln nicht wenigstens ein oder zweimal im Monat die Angestellten die den Eintritt kassieren und den Schlagbaum öffnen, die Picknickreste zusammen, keine große Aktion, aber mit Sicherheit sehr effizient, denn soviel bleibt bei den weinigen Besuchern nicht liegen, einige der Dosen haben ihrem Aussehen nach sicherlich schon etliche Jahre im Wetter gelegen. Das südliche Ufer des Schireet Nuur soll aber nicht das Ziel der Wanderung gewesen sein, die kaum drei Kilometer bis hier her sind schnell bewältigt, zumal der Weg für Fußgänger komfortabel ist. Weiter kommt man eigentlich nur am östlichen Seeufer über einen Pferdepfad. Der Weg verläuft am Steilufer, zwischen 10 und vielleicht 30 Metern über dem See. Man steigt häufig auf und ab und klettert manchmal zwischen ziemlich hinderlichen Steinbrocken herum.
Der Gedanke, dass hier auch Touristen auf Pferden unterwegs sind lässt schon ein wenig erschauern, entweder sind die Pferde so auf diesen Pfad trainiert, dass sie ihn praktisch im Schlaf absolvieren oder es müssen sich hier schon brenzlige Szenen abgespielt haben. Das nördliche Seeende bildet ein kaum 50 Meter langer Damm der das enge Tal abgeriegelt hat. Er sieht fast künstlich aus, ist aber mit Sicherheit auf natürliche Weise entstanden. Hier lagert gerade eine Gruppe von Franzosen mit ihren mongolischen Führern, die auf einem Pferdetrekking sind. Sie kommen über den nördlichen Pass und sind schon ein paar Tage im Orchon Tal unterwegs gewesen, wo auch die Fahrzeuge zurückgeblieben sind, denn wie schon gesagt, auch von Norden ist es unmöglich mit einem Auto in das Tal zu gelangen. Unterhalb des Dammes wird das Tal schnell recht breit und ist bedeckt von traumhaften Bergwiesen und lichten Lärchenbeständen. Perfekt wird das Szenario durch den wild abfließenden Bach, der das Wasser des Schireet Nuur zu den darunterliegenden Seen verteilt. Ein paar Winterlager der Viehzüchter ducken sich an kleine Felswände, sie sind jetzt natürlich unbewohnt. Landschaftlich kann ein Viehzüchter in der Mongolei wohl kaum einen schöneren Ort wählen, auch die Weidegründe sind hier sicher so ergiebig wie selten sonst aber an Abgeschiedenheit ist der Ort kaum noch zu übertreffen. Nahezu überall in der Mongolei kann man eine Jurte auch mit einem Geländefahrzeug irgendwie erreichen, aber hier muss man selbst zum Arzt erstmal zwanzig, dreißig Kilometer auf einem Pferd zurücklegen und alles was man so zum Leben braucht kann auch nur auf diesem Weg dahingelangen.
Mit steigender Sonne verschwinden auch immer mehr die Wolken, die Temperaturen erreichen trotz der Höhenlage von um die 2300 Meter schnell die 25 Gradmarke und selbst das Bachwasser ist angenehm warm. Die Auswahl an Badestellen ist breit gefächert, kleine Wasserfälle die über Terrassen stürzen oder tiefe sandige Wannen inmitten der blühenden Bergwiesen, genau das wovon man in der Gobi als Reisender immer irgendwie heimlich träumt, hier wird es im Überfluss geboten.
Es ist dann auch schon deutlich über die Mittagszeit hinweg und ungefähr 14 Kilometer vom Camp auf der anderen Seite des Passes entfernt, was bedeutet, dass der Rückweg angetreten werden muss.
Da man sich aber auch schon etwa in der Mitte des Tales befindet, bedeutet das auch, man könnte das Tal mit einem straffen Tagesmarsch vom Pass südlich bis zum nächsten Fahrweg im Norden durchqueren. Die Wanderung von Norden in das Tal hatte ich im vergangen Jahr bei traumhaftem Wetter unternommen und war so auch etwa bis zur Mitte des Tales gelangt.
Der Rückweg wird nach einer Weile von Farbspielen am Himmel und über dem See begleitet, einzelne dicke, tiefliegende Wolken sind über die nördliche Bergekette gerutscht und bleiben an den höherliegenden südlichen Gipfeln hängen. Der abendliche Regen braut sich zusammen, von dem der Viehzüchter am Vortag gesprochen hatte. Als das südliche Ende des Sees erreicht ist setzt auch der Regen ein. Nicht lange und auch nicht besonders heftig aber zumindest gut für die geradezu üppige Vegetation die im Mikroklima des Tales gedeiht. Der haben selbst die vielen Ziegen noch wenig anhaben können, die zu den beiden Jurten unterhalb des Passes gehören. Es weiden zwar auch noch ein paar Yaks friedlich dazwischen, aber die ansässigen Viehzüchter scheinen sich auch auf die Ziegen verstiegen zu haben, keine gute Entwicklung in Anbetracht der Tatsache, dass Ziegen der Vegetation deutlich stärker zu schaffen machen als die friedlichen Wiederkäuer mit dem zotteligen Fell.
Nach der langen Tour scheint der Anstieg zum Pass kein Ende nehmen zu wollen. Der Abstieg zur anderen Seite wird auch wieder der Einstieg in eine andere Vegetation. Kein einziger Baum, nicht mal ein Strauch ist im Hochtal zu sehen wofür es mehrere Gründe gibt, in erster Linie die Südausrichtung der Berghänge, der Regenschatten des Gebirgskammes aber auch die deutlich intensivere Beweidung. In dieser Landschaft sind auch die Zelte als Ziel schon von Weitem auszumachen.
Am Ende zeigt der Track auf dem GPS Gerät 27 Kilometer an, wovon sich aber jeder Meter wirklich gelohnt hat. Mit der Dämmerung kommt dann noch eine Yakkarawane vom Pass herunter. Drei Männer treiben acht, mit Hausrat beladene Yaks ins Tal. Ein Umzug, wie man ihn heutzutage höchstens in abgelegenen Gebirgstälern sieht, wo kein Fahrzeug den Transport übernehmen kann.
Als wir am nächsten Morgen die Zelte abgebaut und das Hochtal hinter uns gelassen haben, stellt sich ein Gefühl ein, dass man viel zu wenig Zeit für dieses beeindruckende Fleckchen Erde mitgebracht hat und was dem Reisenden in der Mongolei entgeht, der sich nicht auch einmal darauf einlassen kann, ein paar Stunden die Berglandschaften mit ihren endlosen Ausblicken zu Fuß zu erkunden.
Keine Klosteranlage, in der mit Kameras bewaffnete Touristen den auswendig gelernten Historien eines Führers lauschen, kann auch nur annähernd die Stimmung erzeugen, von der man in den weiten Hochgebirgslandschaften des Changai erfasst wird, wenn man sich die Zeit nimmt, dort etwas zu verweilen und sie sich durch eigene Muskelkraft erschließt.
Jens Geu 2010