Reiseberichte aus der Mongolei Jens Geu

Der schönste Weg in den Altai


Eigentliches Ziel dieser Reise soll der Altai sein, genauer gesagt, die Turgen-Kette bei Ulaangom, aber wie fast immer bei Reisen in der Mongolei ist der Weg das eigentliche Ziel. Der soll es aber in sich haben - immerhin 3‘500 Kilometer sollen am Ende auf den Tachometern der Geländewagen dazukommen, wenn nach 21 Tagen die Autos die Hauptstadt wieder erreicht haben, aber wie schon gesagt, der Weg ist das Ziel und dieser beginnt zunächst in der Hauptstadt, die so ganz anders aussieht, als das, was uns in den nächsten drei Wochen erwartet.

Ulaanbaatar im Jahr 2002, dem Jahr des Pferdes nach dem alten mongolischen Kalender, dass sind vor allem Baustellen, große, kleine, auf Straßen und an Gebäuden und zudem Touristen aus allen erdenklichen Ländern. Wer heute noch seine Mongoleiberichte damit schmücken möchte, der erste, der einzigste und Verwunderung auslösende Europäer gewesen zu sein, der muß sicher in einem anderen Land gereist sein. All diese Touristen haben eines gemeinsam, nämlich die Art zu Reisen, auf unbefestigten Pisten, ohne Hotels und die sonst übliche Infrastruktur am Wegesrand.
Auch nachdem wir die bald Millionenstadt verlassen haben, treffen wir immer wieder Grüppchen von Touristen, obwohl das Land eigentlich riesig ist, fast fünfmal so groß wie Deutschland.


Am ersten Etappenziel der Tour, in Kharhorin, tummeln sich verständlicherweise auch noch besonders viele Touristen. Kharhorin ist sozusagen ein touristischer Zwangspunkt. Zu sehen gibt es eigentlich nicht viel von der alten Hauptstadt, aber es ist der Mythos des Tschingis Khan, der die Touristen hier in Scharen einfallen lässt. Dutzende Berichte über die Grabungen deutscher Wissenschaftler tun ihr Übriges. Wir finden aber an den Grabungsstätten nichts, keine grabenden Wissenschaftler und auch keine spektakulären Ruinen. „Alles wieder zugeschüttet“, sagen uns die mongolischen Souvenirverkäufer, die hier auf vornehmlich japanische Touristen warten, und „die Deutschen sind seit einigen Wochen weg, machen wahrscheinlich Ferien“. Also begnügen wir uns mit einer Besichtigung der Tempelanlage Erdene Zuu, diese wurden etwa 250 Jahre später an der Stelle errichtet, wo ursprünglich die Hauptstadt zu finden war. Es ist sicherlich eine der schönsten Anlagen dieser Art in der Mongolei, im Vergleich zum Regierungssitz des ehemaligen Weltreiches ist die Klosteranlage aber weltgeschichtlich bedeutungslos.

Für unsere Reisegruppe schon bedeutungsvoller ist die Tatsache, dass Khakhorin am Orkhon liegt und dieser Fluß bietet schöne Stellen für ein abendliches Camp, so wie wir das auch in den nächsten Tagen jeweils an einem Fluß oder See erwarten. Im Norden der Mongolei ist das auch durchaus realisierbar, denn hier gibt es sowohl saubere Flüsse als auch klare Seen in großer Zahl. Das Ufer des Orkhon an dieser Stelle zu erreichen, erweist sich als nicht ganz einfach. Eine steile Uferböschung und ein in viele Seitenarme verzweigter Flußlauf lassen den Versuch fast scheitern. Ohne die Wegbeschreibung, die wir in einer nahen Jurte erhalten, hätten wir das Unternehmen sicherlich aufgegeben. Die Nacht am Fluß ist aber damit gerettet und die gute Stimmung für die Weiterreise auch.

Tsetserleg ist das erste sogenannte Aimakzentrum, das die Reiseteilnehmer zu Gesicht bekommen. Diese Zentren sind im Allgemeinen wichtig für die Infrastruktur und die Verwaltung des riesigen Landes, aber eines sind sie mit Sicherheit nicht, hübsche Kleinstädte. Sie sind sozusagen weder hübsch noch sind es eigentlich Städte. Hier ist auch auf den ersten Blick die Zeit in den letzten zehn Jahren wirklich stehengeblieben. Zwar lebt ein Teil der Bewohner in Neubauwohnungen aus den achtziger Jahren, die sich kaum von denen in Ulaanbaatar unterscheiden, aber alles andere hat den Anschluß an die Entwicklung in der Hauptstadt verloren. Der Zach, der Containermarkt, ist nach wie vor der Hauptumschlagplatz für die Waren des täglichen Bedarfs und für Biergärten, die im sommerlichen Ulaanbaatar das Straßenbild prägen, gibt es hier wahrscheinlich noch nicht einmal eine passende Vokabel. Eine Städtereise soll eine Mongolei-Tour ja auch nicht sein und somit beschränkt sich der Aufenthalt im Bezirkszentrum auf das Tanken und Auffüllen der Brotvorräte.

                                                                                                      

Kaum hat man die Siedlung in Richtung Nordwesten verlassen, wandelt sich die Steppenlandschaft in Waldtaiga. Alpine Wiesen und Lärchen bestimmen das Bild. Inmitten einer Edelweißwiese findet sich dann auch der ideale Platz für ein Camp, einziger Makel: bereits kurz nach dem Sonnenuntergang macht sich plötzlich die Höhenlage von über 2‘000 Metern bemerkbar. Binnen kurzem sinkt die Temperatur von 25 auf unter 10 Grad, aber es gibt in unmittelbarer Waldnähe genug Holz für ein wärmendes Lagerfeuer, dass noch weit bis nach Mitternacht für Stimmung sorgt. Wie meist in solchen Situationen singen unsere mongolischen Begleiter ununterbrochen Volkslieder und uns bleibt nur schamvoll zuzuhören, bis unser Dolmetscher plötzlich eine alte ostdeutsche Rockballade anstimmt, die er noch aus seiner Studienzeit in Bernau kennt und damit haben wir die Gelegenheit uns auch mit einzubringen. Ein Feuer der ganz anderen Art erleben wir am nächsten Tag, unweit des Tamir Flusses brennt die Taiga, zum Glück ist es kein größeres zusammenhängendes Waldgebiet und es bleibt zu hoffen, dass der Brand keine größeren Flächen ergreift.


Den nächsten Höhepunkt der Reise bildet der Tschuluut, ein Fluß, dessen Cañon bis zu 80 Metern tief in der Talsohle eines breiten Steppentales verschwindet. Eigentlich nimmt man die Schlucht erst war, wenn man direkt vor den steil abfallenden Wänden steht. Bei einer Tour vor etlichen Jahren, wir wußten noch nichts von dem Cañon, ist es uns passiert, dass wir kaum 200 Meter am Canyon vorbei gefahren sind und überhaupt nichts davon bemerkt hatten, allerdings gab es zu dieser Zeit weder Reiseführer noch gute topografische Karten, die auf dieses Naturschauspiel hingewiesen hätten. Mittlerweile ist der Canyon aber als touristische Attraktion bekannt und wird auch entsprechend häufig angesteuert. Meist machen die kleinen Reisegruppen hier aber nur eine kurze Rast, schießen ein paar Fotos und sind nach kaum mehr als einer Stunde wieder auf dem Weg. Diesen Fehler wollen wir nicht machen, der Canyonrand bietet die ideale Kulisse für das abendliche Campfeuer und wir nutzen die Zeit zum Sonnenuntergang und seilen uns zum klaren und wie sich herausstellt, sogar warmen Wasser des Flusses ab. Etwas Vorsicht ist allerdings geboten, da das Gestein schon auf den ersten Blick als ziemlich brüchig erscheint. Gelohnt hat sich diese Aktion allemal, denn zum Fischen ist dieser Fluss geradezu traumhaft. Binnen Kurzem gelingt es uns mit einfachster Angelausrüstung fünf mittelgroße Forellen herauszuziehen. Ähnliches soll uns auch am nächsten Tag am See Terchin Zagaan Nuur wieder fahren, wo wir drei große Hechte anlanden. Das Wasser des klaren Sees birgt nicht nur Fische, sondern ist auch zum Baden gut.

                           

Etwa 20 Grad in über 2‘000 Metern Höhe, dass läßt keine Wünsche offen. Am nordöstlichen Rand des Sees erhebt sich der Krater des erloschenen Vulkans Khorgo. Mit etwa 200 Metern über dem See verblaßt er allerdings gegenüber den insgesamt über dreitausend Meter hohen Gipfeln am nördlichen Seeufer, die eine wirklich beeindruckende Kulisse bilden. Die frühe Ankunft am Campplatz nutzen wir um bei den Viezüchtern ein Schaf zu kaufen, dass dann auf traditionelle Art zubereitet wird, mit  heißen Steinen und in der 20 Liter Milchkanne.

     

Am nächsten Morgen führt der Weg zum Khorgo auf die nördliche Seite des Terchin Zagaan Nuur. Nach einer kurzen Fahrt durch ein altes Lavafeld erreicht man den eigentlichen Vulkankegel. Den Blick in den imposanten Trichter des Kraters müssen wir uns mit einigen anderen Touristen teilen, denn an solchen relativ bekannten Attraktionen treffen sich natürlich die Wege der schon nicht mehr wenigen Reisegruppen, die im kurzen mongolischen Sommer das Land durchstreifen. Auffallend ist, dass wie hier, auch immer mehr inländische Touristen unterwegs sind. Noch vor zwei, drei Jahren waren die Ausländer auf solchen Trips nahezu unter sich. Mit dem Anwachsen einer sogenannten Mittelschicht in den Städten entsteht heute auch ein inländischer Tourismus-Markt. Sicherlich reiste die Stadtbevölkerung schon immer auch im Sommer in sogenannte Ferienheime, aber heute sind die Leute mit eigenen Geländewagen kreuz und quer im Lande unterwegs und erschließen sich Regionen, in die vor Jahren höchstens Dienstreisende gelangten.


Nach einem abenteuerlichen Pass und Wegen, die die Bezeichnung kaum noch verdienen erreichen wir die Ostsee, oder mongolischen den Ostsee, den Salzsee Dsuun  Nuur.  Warmes, leicht salziges Wasser und eine Landschaft zum Meditieren, ein abgelegenes Kleinod, ein Geheimtipp.  

Kein Geheimtipp mehr ist dagegen der Khuvsgul See. Der kalte aber wunderschöne See im hohen Norden der Mongolei ist ein Urlaubsziel für Mongolen geworden. Allerdings verlaufen sich die vielleicht drei oder vierhundert Touristen bei einer Uferlänge von mehr als dreihundert Kilometern und der See liegt da wie schon vor tausend Jahren, still, gewaltig und unberührt in der sibirischen Taiga.
                                           

Unser Camp auf der Ostseite lässt den Blick frei, auf die Gebirgskette des westlichen Ufers, steil aufsteigende Berge, die den See weit mehr als tausend Meter überragen. Dichte Nadelwälder an den Hängen und schroffe Felsspitzen zeigen ein ganz anderes Bild vom Steppenland Mongolei. Zwei Tage sind demzufolge auch eingeplant, um etwas mehr von dieser Landschaft zu erleben. Über das Geröllbett eines Trockenflusses und alte Geologenwege in schwindelnder Höhe kommen wir auf einen Höhenzug des westlichen Gebirges und von dort aus ergibt sich die Möglichkeit einer beeindruckenden Gipfelwanderung mit Ausblick auf den See in seiner gesamten Länge. Eine tiefblaue Wasserfläche inmitten von dichten Wäldern.
           

Steppenlandschaft dagegen, empfängt uns aber schon wieder wenige Kilometer südlich. Das Verwaltungszentrum des Khuvsgul Bezirkes liegt in einer weiten trockenen Graslandschaft, umgeben von Gebirgen. Wie schon in Tsetserleg hat sie Siedlung wenig zu bieten und nach einem kurzem Tankstopp geht es wieder in die offene Landschaft. Wenige Kilometer nach passieren der Siedlung wäre auch beinahe etwas unglaubliches passiert, ein Verkehrsunfall in der weiten, menschenleeren Steppe. Kurz hinter einer unscheinbaren Hügelkuppe liegt ein Motorradfahrer mitten zwischen den dürftigen Fahrspuren im Tiefschlaf. Wirklich erst im letzten Moment nehmen wir die Situation wahr und weichen ziemlich unsanft ins Steppengras aus. Der Motorradbesitzer kommt von einer Feierlichkeit und ist weder in der Lage zu laufen, geschweige denn zu fahren. Wir versuchen ihn davon zu überzeugen seinen Rausch neben der Piste auszuschlafen, aber vergebens. Die Wahrscheinlichkeit, dass in den nächsten Stunden schon wieder ein Fahrzeug hier vorbeikommt ist auch mehr als gering und so fahren wir unverrichteter Dinge weiter.

Irgendwann kreuzt dann der Fluß Delger Murun unseren Weg, oder besser gesagt, wir kreuzen ihn. Wieder mal ein phantastischer Ort, zu lagern. Schroffe Gebirge am Horizont, den klaren wilden Fluß unmittelbar am Zelt und dazu ist das Wasser noch badewarm. Vom darauf folgenden Tag an geht die Reise immer gen westen. Über einen steinigen Hochgebirgspass, hinab in Steppentäler mit Salzseen und fast unverhofft tauchen auch wieder die Nadelwälder der Taiga auf und mit ihnen ein klarer Gebirgsfluss, der Tessin Gol.


Hier in der Nähe des gleichnamigen Kreiszentrums geraten wir auch unerwartet in die örtlichen Naadam-Feierlichkeiten. Reiten Ringen und Bogenschießen, die drei Spiele die auch mittlerweile in Europa fast jeder mit dem Wort Mongolei verbindet. Hier, in der Provinz der Provinz läuft es allerdings doch etwas anders als in der Hauptstadt. Während dort der sportliche Wettkampf und eine mittlerweile recht kommerzielle Show die Szenerie bestimmen, ist hier auf dem Lande eher Beschaulichkeit angesagt. Hier geht es in der Hauptsache darum, sich mit Nachbarn und Fremden zu treffen und zu plauschen. So sieht dann auch das Bild auf dem weiten Festgelände aus, überall sitzen Grüppchen von Menschen neben ihren Pferden, Motorrädern oder auch Autos und pflegen bedächtige Unterhaltung. Irgendwann wechselt man dann in eine andere Gesprächsrunde, trinkt ein paar Schalen vergorener Stutenmilch oder selbstgebrannten Milchschnaps. So verbringt man die meiste Zeit der immerhin drei Feiertage. Im Zentrum des Festgeländes sind einige Jurten, Zelte und LKW gruppiert, hier läuft sozusagen der offizielle Teil der Veranstaltung. Dort werden gerade die Pferde für das spätere Rennen vorgeführt, allesamt geritten von Mädchen und Jungen, die kaum älter als acht, neun Jahre sind und das Reiten oft vor dem Laufen erlernt haben.


Nachdem wir dem Flußlauf noch etliche Kilometer gefolgt sind, zweigt er wieder nach Norden ab und mit ihm verschwindet auch das Angebot an Trinkwasser. Von hier aus in Richtung Westen beginnt eine Landschaft ohne Süßwassergewässer, eine Wüste im hohen Norden. Die ersten Sanddünen tauchen auf, noch sind sie von einer dürren Grasnarbe bedeckt und trockene Kiefern versuchen zu überleben, aber dann verschwinden die Kiefern und nur noch einzelne hartnäckige Gräser finden Halt im lockeren Sand. Die nördlichste Sandwüste der Welt ist erreicht, der Borog Els. Fast 500 Kilometer nördlich der Gobi und in unmittelbarer Nähe zur sibirischen Taiga, breitet sich ein 160 Kilometer langes und vierzig Kilometer breites Sanddünengebiet aus, messerscharf abgegrenzt von fast vegetationsloser Steppe im Süden. Genau an dieser Grenze verläuft die Piste. Oftmals hat der Treibsand die Fahrspur verweht und die Fahrzeuge kämpfen sich durch den gefährlichen Untergrund. Das Camp in den Sanddünen wird dafür ein besonderer Höhepunkt, lediglich das Lagerfeuer muß etwas bescheiden ausfallen, denn Brennmaterial ist hier rar. Nicht einmal der sonst immer rettende Kuhmist ist hier aufzutreiben. Eine einfache mongolische Logik, wo kein Wasser ist, sind keine Menschen, wo keine Menschen leben gibt es kein Vieh und wo kein Vieh sch... gibt es keinen Brennstoff.


Der nächste Tag zeigt wieder eine ganz andere Seite des Steppenlandes, ein warmes Meer mit Badestrand, der Uws Nuur See ist erreicht. Mit knapp 80 Kilometern Durchmesser wirkt er vom flachen Ufer betrachtet wirklich wie ein Meer. Sein Salzwasser erreicht im Juli eine Temperatur von gut 20 Grad und an dem flachen Sandstrand schlagen die Wellen mindestens so wie an der heimischen Ostsee. Einen Unterschied gibt es dennoch, der Horizont im Westen wird von der Kulisse der gewaltigen schneebedeckten Turgen-Kette bestimmt, das kann der Ostsee nicht bieten. Im Moment sind die Strände am Uws Nuur einsamer als die Wüste Gobi, möglicherweise wird sich das in Zukunft ändern, denn wenn die Mongolen irgendwann mal die Freude am Badeurlaub entdecken, dann bestimmt hier, am Uws Nuur.


Da das eigentliche Ziel nun greifbar nahe liegt, widerstehen wir der Verlockung des Sees den Aufenthalt länger auszudehnen und suchen uns einen Weg zur nahen Turgen-Kette. Stellenweise setzen sich die flachen Ufer des Uws Nuur als Sümpfe in die Landschaft fort und es wird nicht einfach, so nahe am See einen sicher passierbaren Weg zu finden. Nur ein größerer Bogen in Richtung Süden bewahrt davor, vielleicht doch noch ein Auto in den Sumpf zu setzen. Nach wenigen Stunden ist dann Ulaangom erreicht, das Aimakzentrum unmittelbar am Fuße der Turgen-Kette.

 

In der Nacht ist im Gebirge Schnee gefallen und so trägt schon die vorgelagerte Gebirgskette eine weiße Kappe. Mit einer Höhe von über 3‘000 Metern überragt sie wie eine Wand die weite Steppenebene in der Ulaangom liegt. Die Siedlung selbst liegt kaum 900 Meter hoch und das ist in der Mongolei sozusagen Tiefland. Auch sonst ist es hier im Nordwesten etwas anders, der Dialekt der hier gesprochen wird unterscheidet sich schon soweit vom Kalkh-Mongolischen, das in Ulaanbaatar gesprochen wird, dass Ladkhu, unser Dolmetscher, ernsthafte Verständigungsprobleme hat.

Besonders kritisch wird die Situation, als wir nach einer befahrbaren Piste ins Gebirge fragen, die Aussagen sind so widersprüchlich, dass Ladkhu zugeben muss, die Leute hier nicht mehr richtig zu verstehen. Eine exakte Wegbeschreibung ist hier aber unabdingbar, da Karte und GPS zwar den Standort fast metergenau bestimmen lassen und auch die Richtung völlig klar ist, das nutzt aber insofern nur wenig, als das praktisch weglose Gelände von Sümpfen, Steinfeldern und Trockenflüssen gezeichnet ist und die sind selbst für die härteste russische Geländetechnik tödlich. Einzig ein auch in den Karten verzeichneter Weg führt über die kleine Siedlung. Tarjalan in die Region des Turgen, aber der stellt sich nach dreißig Kilometern als unpassierbar heraus.

Der von den Gletschern des Turgen gespeiste Kharkira Fluss hat auf Grund der Schneefälle der vergangenen Tage bei einer Tiefe von knapp einem Meter eine solche Strömungsgeschwindigkeit, dass maximal einem Traktor die Durchfahrt möglich wäre – den haben wir aber nicht. Bei Niedrigwasser, so sagen die Bewohner der kleinen Siedlung, wäre die Durchfahrt mit dem russischen UAS und einem sehr guten Fahrer möglich, aber der zu unserem Konvoi gehörende Nissan würde heute wahrscheinlich bis zum Dach im Wasser verschwinden.

Da dieser Weg zumindest in den nächsten Tagen für uns versperrt ist, machen wir uns wie gesagt auf die Suche nach einer anderen Möglichkeit in das Gebirge zu gelangen. Da es die erwähnten Verständigungsprobleme gibt, werden die kaum dreißig Kilometer zu einer mehrstündigen Odyssee zwischen Sümpfen, kleinen Wasserläufen und den berüchtigten Feldern mit sogenannten wachsenden Steinen. Am Ende begehen wir noch den verhängnisvollen Fehler und fahren bergan in die Wurzel eines sich hundertfach verzweigenden Trockenflusses, der ursprünglich durch das abschmelzen eines eiszeitlichen Gletschers entstanden sein muß. Je höher wir in dem Flußbett kommen, um so tiefer und unpassierbarer werden die Erosionsrinnen. Irgendwann ist die Situation soweit, dass trotz mühseliger Suche von uns keine für das Fahrzeug zu bewältigende Strecke mehr auszumachen ist und der Weg den wir gekommen sind schon längst nicht mehr nachzuvollziehen ist. Die Falle ist sozusagen zugeklappt und uns bleibt nur der Rückzug auf gut Glück und nach Gefühl. Ein klassischer Irrgarten, aber unter Umständen mit verhängnisvollen Folgen.

Währenddessen ist es bereits dunkel geworden und der zweite unglückliche Fehler schlägt zurück. Das andere Fahrzeug hat bereits viel früher den Rückweg gewählt und ist jetzt zwar dem Labyrinth schon entronnen, hat aber weder ein Zelt noch einen Kocher oder Lebensmittel an Bord. Der schwache Funkkontakt läßt vermuten, dass wir jetzt mindestens acht Kilometer von den anderen entfernt sind und da das Gelände Stück um Stück zu Fuß nach möglichen Routen abgesucht werden muss, ist das eine schier endlose Entfernung. Zwar bleibt die Verständigung per Funk mit Unterbrechungen noch möglich, aber wie will man im Stockdunkeln seine Position beschreiben, zumal nur eines der Fahrzeuge über ein GPS-Gerät verfügt.

Irgendwann weit nach Mitternacht treffen sich dann beide Fahrzeuge wieder, um zwei Erfahrungen und eine total verbeulte Stoßstange reicher, die nämlich musste das Fahrzeug abfangen, als das sozusagen kopfüber in eine der verhängnisvollen Rinnen kippte.   
                                               

Am nächsten Morgen ist bis auf die Stoßstange alles vergessen. Bergwandern ist angesagt, mit dem Ziel, die vergletscherten Gipfel der Turgen-Kette wenigstens doch noch zusehen. Dafür muß aber der Kamm des vorgelagerten Gebirgszuges überstiegen werden. Der ist hier immerhin über dreitausend Meter hoch und mit den Fahrzeugen haben wir es gerade mal zum Fuß des Gebirges in reichlich tausend Meter Höhe geschafft. Das Ziel liegt also rund zweitausend Meter höher und ausgetretene Pfade führen hier natürlich nicht nach oben. Der Aufstieg, oftmals über Geröllfelder und ziemlich steile Abschnitte ist mühselig. Losgegangen sind wir am Morgen bei fast 30 Grad und den noch teilweise mit Schnee bedeckten Kamm erreichen wir erst am Nachmittag. Mit dem Übersteigen des Gebirges wird auch der Blick frei, auf die Gletscher des Turgen und seiner zahlreichen Nebengipfel. Kaum zwanzig Kilometer entfernt, aber so schwer erreichbar. Ein bisschen Enttäuschung mischt sich unter das Gipfelgefühl, da es nicht gelungen war, den Turgen selbst zu erreichen, aber dafür fehlt jetzt die Zeit. Unter den angetroffenen Bedingungen wäre es nur noch mit Pferden möglich gewesen, bis zum Berg zu gelangen, was in diesem Land natürlich relativ einfach zu realisieren ist, aber zehn Reitpferde lassen sich auch hier nicht so schnell aus dem Boden stampfen.                                                                                                                                                                                                       
                                                                                         

Der Abstieg vom Berg ist dann auch praktisch der Beginn der Rückreise, einer Fahrt, die immerhin noch sieben Tage in Anspruch nehmen wird aber mit jedem Tag mehr ein Abschied nehmen von der Mongolei bedeutet. Für die meisten in der Gruppe nur ein vorübergehender Abschied, denn der Wunsch noch einmal wiederzukommen ist eigentlich bei jedem gereift.

Jens Geu,  Sommer 2002