Reiseberichte aus der Mongolei Jens Geu

Mit Pferden zum Asralt Chairchan



Wer heute in die Mongolei reist, träumt meist von endloser Wüste, den Bergen des Altai oder vom Khuvsgul See im Hohen Norden. Dazu kommt oft auch der Wunsch entlegene Regionen zu erkunden, in denen vermeintlich kaum ein Tourist sonst hinkommt. Kaum jemand interessiert sich für die Landschaft nördlich der Hauptstadt Ulaanbaatar. Zu nah an der Zivilisation, zu flach das Gebirge, es erscheint einfach zu wenig spektakulär. Ein Trugschluss, allein was die Einsamkeit und die Ursprünglichkeit anbetrifft, gibt es keine Großlandschaft in der Mongolei, die weniger verschont geblieben ist von der Zivilisation als der Khentij. Ein Gebirge, das fast vollständig unbesiedelt ist, eine Vegetation die nicht von der Viehhaltung beeinflusst wurde und eine Landschaft in der die Wildtiere ihren absolut natürlichen Lebensraum vorfinden.
Grund dafür ist die Unzugänglichkeit, die wilde Topografie und ursprüngliche Vegetation, die sich überall in den Weg stellt. Eine Nutzung für die historische Lebensgrundlage der Mongolen, die Viehhaltung ist fast nicht möglich. Dazu kommt ein Klima, mit extrem langen und kalten Wintern und das Leben auf dem Permafrostboden.

Urwildnis pur, nicht einmal Jurten findet man im zentralen Khentij

Die Unzugänglichkeit ist aber auch gleichzeitig das größte Problem für einen Reisenden im Khentij. Mit einem Fahrzeug ist es nahezu unmöglich weiter in das Gebirge vorzudringen, zu Fuß kommt man natürlich nur langsam vorwärts, einzige Alternative ist das Pferd, wobei auch das nicht ganz einfach ist, selbst dafür sind die Wege oft schwer.
Der Plan sieht vor mit Pferden bis zum Asralt Chairchan zu gelangen, dem höchsten Berg des Khentij. Es ist nicht das erste mal, aber doch immer wieder aufregend die anspruchsvolle Tour vorzubereiten. Für eine Jeeptour durch das Land besorgt man sich einfach das Auto, lädt möglichst viel Ausrüstung ein, geht vor der Abfahrt noch einmal in Ulaanbaatar in einen Supermarkt und packt in den Korb, worauf man in den nächsten Tagen Appetit hat. Eine halbwegs gute Karte, ein paar Tugrig für das Benzin und die Tour kann losgehen. Bei einer Reittour im Khentij steht als erstes die Frage eines ortskundigen Begleiters, sofern man nicht die Strecke selbst kennt. Karten und GPS helfen dort nur bedingt, man muss einfach wissen wo die Pfade verlaufen, die auch die Pferde bewältigen können und hat man im Wald oder Gesträuch einmal die richtige Spur verloren wird es schwierig.

  ohne Pferd geht hier kaum etwas

Das nächste Problem ist das Gepäck und die Verpflegung. Es gibt auf der Tour definitiv keine Möglichkeit an etwas Essbares zu gelangen, abgesehen von Waldpilzen, Heidelbeeren oder man erjagt ein Tier. Bei der Ausrüstung muss man sich natürlich auf das absolut notwendige beschränken, denn jedes Kilo mehr kann bedeuten, dass noch ein Packpferd mit muss und je größer die Karawane, desto mehr Aufwand. Nach allem hin und her ist dann klar, dass es zwei Packpferde sein werden, für vier Reiter, es sind also insgesamt sechs Pferde zu beschaffen. Das ist in Ulaanbaatar auch nicht so einfach, dazu muss man schon mal ein paar Kilometer aufs Land fahren. Dort muss man dann verhandeln und rechnen und wieder verhandeln und hoffen, dass die Zusagen auch eingehalten werden.

Geplant sind für die Tour fünf Tage, wobei ein sechster Tag in Reserve steht, mit Pferden durch den Khentij ist halt nicht wie mit der Bahn durch Deutschland. Ausgangspunkt ist der Vorort Gatshurt, eine halbe Autostunde von der Hauptstadt entfernt. Die ersten 20 Kilometer nach Norden in das Gebirge führen noch durch ein recht belebtes Steppental. Es gibt auch einen mehr oder weniger guten Fahrweg und deshalb kommt das Gepäck erstmal in den Jeep, die Packpferde sollen nicht unnötig weit ihre Last tragen.
Am letzten Gebäude vor der Wildnis, einem alten Betriebserholungsheim, dass schon mal bessere Zeiten gesehen hat, wird das Gepäck vom Auto auf die beiden Packpferde geladen.

Hier, unterhalb des Anstieges zum ersten Pass endet der eigentlich befahrbare Weg, wobei die Betonung auf eigentlich liegt, wir wären nicht in der Mongolei, wenn es nicht doch ab und an jemand darauf ankommen ließe und mit seinem Landcruiser das Unterfangen versuchen würde. Für uns ist das kein Thema und deshalb kehrt der Jeep hier zurück. Der Anstieg nimmt rund 150 Höhenmeter auf kurzer Distanz, für die noch ausgeruhten Pferde kein Problem. Auf dem Pass kündet eine Tafel vom Beginn des Gorchi Tereldsch Nationalpark in dem auch das Tal der Schildkröte liegt. Während man dort aber mit allerlei Touristenzauber beglückt wird, dominiert nach diesem Pass wirklich die Wildnis. Es gibt auch im Gegensatz zum Eingang der in das Schildkrötental führt, an dieser Stelle kein Kassenhäuschen in dem die Parkgebühr kassiert wird. Hier hätte das einfach keinen Sinn, denn tagelang wären die Einnahmen gleich null. Wobei eine Gebühr hier sogar angemessen wäre, allein für den Blick, der sich vom Pass in das jenseits gelegene Gebirge bietet.
Wie an allen Nordhängen im Khentij ist auch hier die Bewaldung dicht und der Unterwuchs üppig, ein Nadelwald wie man in auch in Nordeuropa antreffen könnte. Der Weg selbst besteht aus einer mehr oder weniger tiefen Fahrspur die sich zwischen den Bäumen windet.
Fünf oder vielleicht 6 Kilometer geht es so wieder kontinuierlich nach unten bis zum Tereldsch Fluss, dem wichtigsten Nebenfluss der Tuul.


Der Tereldsch Gol mündet später in die Tuul

Damit ist auch die erste und zugleich tiefste Flussquerung erreicht. Knapp einen Meter ist das Wasser tief, bei einer ganz ansehnlichen Strömung. Für die Pferde, die Flussquerungen gewöhnt sind, kein Problem, kritisch höchstens für das Gepäck auf den Packpferden. Einigermaßen wasserdicht verpackt kommt aber auch das ohne Schaden auf die andere Seite. Dort bietet sich am gegenüberliegen Hang, etwas erhöht gutes Reitterrain und es sind durchaus Strecken im Galopp möglich. Die letzten größeren Areale mit der typischen Steppenvegetation.
Es ist schon recht spät, als der Dsaan Fluss erreicht ist, ein nördlicher Zufluss des Tereldsch Flusses oder Gol, wie es auf mongolisch heißt, der dann den weiteren Weg bildet. Von der Mündung aufwärts bietet sich nach etwa 5 Kilometern ein idealer Lageplatz an. Eine Steppenwiese, etwas höher gelegen, mit ein paar Lärchen zum Anbinden der Pferde und ein kleiner Bach als Zulauf zum etwas entfernter liegenden Dsaan Fluss.
Die Sonne ist aber schon am Untergehen und die Temperatur sackt in den Keller, zu langem Kochen hat deshalb niemand Lust, ein warmer Schlafsack lockt mehr.

Die Kälte der Nacht ist auch am Morgen noch deutlich zu spüren. Ein trübes Licht im Zelt verheißt kein gutes Wetter. Draußen bestätigt sich die Annahme zunächst. Dichter Nebel oder Dunst liegt in dem Tal, lediglich ein kleines Fleckchen blauer Himmel ist zu sehen. Der Fleck wird deutlich größer und binnen wenigen Minuten zieht sich das Grau zu einer Art Wolke zusammen, die dicht über dem Talboden liegt. Die Sonne hat jetzt Kraft die Berghänge zu erwärmen und kaum fünf Minuten später ist die kontinuierlich schrumpfende Wolke völlig verschwunden und strahlend blauer Himmel tut sich auf. Die Temperatur ist bei diesem Schauspiel fast minütlich um ein Grad gestiegen und das Frühstück findet schon wieder bei knapp 20 Grad statt. Ein Vorgang der nicht selten stattfindet in dem Gebirge nördlich von Ulaanbaatar.

Morgennebel am Dsaan Gol

Als sich die kleine Karawane in Bewegung setzt herrscht schon wieder regelrechte Sommerhitze, die kalte Nacht ist schnell vergessen, kaum mehr vorstellbar, dass es knapp am Bodenfrost vorbeiging.

Die ersten Kilometer lassen sich auf einer imaginären Fahrspur noch relativ schnell bewältigen, die Pferde sind ausgeruht und in ihrem Element. Gegen Mittag wird das Terrain schwieriger. Der Pfad für die Pferde verlässt die Spur, quert zunächst einen Steilhang und führt dann durch überwachsen Blockschotterfelder die den Pferden einiges Abverlangen. Hier ist dann endgültig Schritt angesagt. In dieser langsamen Gangart können dann auch die nächsten Kilometer im Gestrüpp absolviert werden, den schmalen Pfad für die Pferde muss man dabei immer im Blick haben, denn wenn man einmal nach rechts oder links abweicht ist es schwer die Spur wieder zu entdecken, von Oben sieht man nur ein dichtes Strauchmeer. Nach zwei Flussquerungen wird der Weg wieder etwas besser, eine Fahrspur ist erneut zu erkennen und die Richtung ändert sich nach Westen. Es ist schon spät am Nachmittag, als nach einem kleinen Pass zum ersten mal das Bergmassiv des Asralt Chairchan auftaucht. Steile Blockschotterfelder durchsetzt mit Felswänden ragen über die grüne Taiga. Im Tal vor uns windet sich ein kleiner Bach um Findlinge aus Granit, eigentlich ein traumhafter Lagerplatz. Die Suche nach einer geeigneten Stelle gestaltet sich schwierig, der Boden ist oft sumpfig, manchmal schwimmt nur eine Moosschicht über einem halben Meter brackigem Wasser und das Ufer des Flusses ist bis ans Wasser mit Gebüsch bestanden. Es findet sich tatsächlich kein Platz, auf dem drei Zelte und die Pferde sicher unterkommen könnten.
Beim Queren des Flusses gibt es ernsthafte Probleme für die Pferde. Wenn sie auch sonst so sicher durch den Bachschotter der schnell fließenden Flüsse gegangen sind, bei dem weichen kiesigen Untergrund dieses Baches werden sie im Wasser unsicher. Das anschließende Gelände mit sumpfigen Löchern und großen Granitblöcken ist auch nicht Ohne. Eigentlich müsste man jetzt die Pferde führen, sie sind wirklich unsicher und warten auf eine klare Vorgabe, aber man wäre wohl kein Mongole wenn man vom Pferd absteigt. Ich muss sagen, bin schon lange aus dem Sattel und taste selbst den Weg, ich bin aber auch kein echter Mongole. Es kommt aber was kommen muss, ein Pferd mit Reiter rutscht mit den Hinterläufen vom Granit ab und in den Sumpf zurück. Mit dem Gewicht des Reiters schafft es nicht, sich auf an Hieb wieder nach oben zu bringen, die Situation ist schon brenzlig und ein Mongole will natürlich nicht gerade jetzt in ein halbmetertiefes Sumpfloch abspringen, zumal das Packpferd dahinter auch schon Panik bekommt.
Es ist aber fast unglaublich, wie das an sich kleine Pferd es dann doch schafft, sich auf den Findling zu retten.
Nach dem Manöver ist klar, hier wird nicht weiter nach einem Lager gesucht, es geht zu einem bekannten Platz im nächsten Tal. Hier liegt auf einer kleinen Anhöhe zwischen der Taiga am Berg und dem Gestrüpp im Tal eine kleine Bergwiese, ideal für Zelte und Pferde. Die Lichtung ist entstanden, weil hier des Öfteren Reiter lagern und die Pferde das Gestrüpp fernhalten, es ist ein Lagerplatz von Zapfensammlern. Die Sammler kommen im August und September hier her, um die Zapfen der Zirbelkiefern zu ernten und deren Nüsse für den Verkauf aufzubereiten. Allerlei gebastelte Hilfsmittel und Berge von Zapfenresten liegen um den Lagerplatz.

      

gute Campplätze sind rar

In der Abenddämmerung ist für einen Moment ein Maral auf der gegenüberliegenden Seite des Tales zu sehen, diese Hirschart wird sehr groß und ist hier an der Grenze zur sibirischen Taiga zu Hause. Generell sieht man aber relativ selten größere Wildtiere in der Taiga. Deren natürliche Dichte ist wesentlich geringer als man zunächst vermutet. Spuren kann man aber immer mal entdecken, so hat zum Beispiel ein Wolf eine Höhle unweit des Camps angelegt, unbewohnt aber noch recht frisch.

Die Nacht vor dem Gipfelsturm auf den Asralt Chairchan wird nicht so kalt, wie die vorhergehende und am Morgen ist die Sonne sofort am Himmel. Ideales Wetter für eine Besteigung, aber vorher sind noch etwa 5 Kilometer auf dem Pferd zu bewältigen, die haben es aber wieder in sich.
Harmlos sind noch die zwei, drei Kilometer durchs Gesträuch, aufregend wird der Anstieg über eine Schlucht. Ein kleiner Bach schießt seitlich teilweise als Wasserfall ins Tal, die Steigung ist enorm. Wurzeln, Felsbrocken und lockerer Kies spicken den Pfad zusätzlich mit Herausforderungen, hier steigen selbst Mongolen vom Pferd. Idyllisch ist die Strecke aber allemal, der Wald herum wird lichter und das Wasser bildet im Granit kleine Trichter, Fallstufen oder regelechte Rutschen. Heidelbeersträucher mit reifen Beeren säumen das Ufer. Die anschließende Hochfläche bietet noch mehr davon, sie ist komplett bedeckt mit dem Taigaobst, mindestens zwei Sorten kann man unterscheiden. Diese Gebirgstundra hat aber auch noch Pilze und Sumpf zu bieten, Letzteres lässt das Vorwärtskommen ziemlich langsam erscheinen, aber zu Fuß hätte man in diesem Terrain einen sehr mühseligen und feuchten Weg zu bewältigen.


Reiten durch Heidelbeer"felder"

Zunehmend werden die einzelnen Bäume seltener und der Blockschotter dichter, praktisch die letzten Möglichkeit die Pferde anzubinden, bietet eine kleine Gruppe von Krüppelkiefern, hier muss es dann zu Fuß weitergehen. Nach GPS sind es von diesem Punkt noch 4,7 Kilometer und 600 Höhenmeter bis zum Gipfel, Liftlinie wohlgemerkt, denn selbst von hier ist der Gipfel noch nicht zu sehen, ein vor gelagerter Kamm versperrt die Sicht und muss erst bezwungen werden. Erst nach etwa einer halben Stunde ist der eigentliche Gipfel das erste mal zu sehen, eine gewaltige, steile Flanke aus Blockschotter präsentiert sich, dazwischen ein Tal mit einzelnen Bäumen und etwas Grün zwischen dem Schotter.


Der König des Khentij ist nur für wenige Wochen schneefrei

Es hilft nichts, auf diesem Weg muss man den gesamten vor gelagerten Kamm bewältigen, um in einem Bogen auf das Joch zu gelangen, von dem aus der direkte Anstieg zum Gipfel möglich ist. Die anfangs 4,7 Kilometer Luftlinie werden so zu reichlich sieben und der vorgelagerte Gipfel muss auch noch überstiegen werden. Es ist schon Mittag, als der erreicht ist, mit 2600 Metern deutlich niedriger als der Hauptgipfel aber spektakulär ist der Ausblick von hier allemal. Unter der steilen Wand fließt eine Moräne aus Verwitterungsschutt ähnlich einem Gletscher ins Tal. Die Zunge sieht von oben kaum anders aus als bei einem Gletscher aus Eis und die Vermutung liegt nahe, dass es sich dabei um einen aktiven Blockgletscher handelt, eine Mischung aus Schotter und eingeschlossenem Eis, denn der Permafrostboden taut hier nur wenige Zentimeter im Sommer auf.
Diesem Gipfel folgt zunächst erstmal ein Abstieg, verlorene Höhe, aber gewonnener Blick. Auf dem Joch, knapp einhundert Meter tiefer, hat sich Boden mit Vegetation gebildet, nach schier endlosem Schotter bietet sich hier Genusswandern pur, bis zum eigentlichen Gipfelsturm. Dort warten wieder Schotter, knapp 300 Höhenmeter Anstieg, deutlich über 30 Grad Neigung und - die Sonne brennt. Langsam drängt die Zeit, doch nach einer dreiviertel Stunde ist auch das Gipfelplateau erreicht und damit der Berg bezwungen. 


Der schönste Owoo auf dem Gipfelplateau

Vermutlich ist der Asralt eigentlich ein Talus, eine riesige Halde aus Verwitterungsschutt, in der die Festgesteinspitze schon sprichwörtlich ertrunken ist. Selbst das an sich flache Gipfelplateau besteht nur aus Verwitterungsschutt. Halbmeter große Brocken wohin man schaut, wären da nicht die zahlreichen Owoos, die Steinhaufen die mongolische Bergwanderer hier errichtet haben, denn der Asralt Chairchan ist auch ein Pilgerziel mit schamanistischen Hintergrund. Viele sind es trotzdem nicht, die es bis auf den Gipfel schaffen. Wahrscheinlich hat der höchste Berg des Khentij, unweit von Ulaanbaatar, deutlich weniger Besucher im Jahr auf seinem Gipfel als der höchste Berg der Erde. Ein Ziel, aber ein schwer erreichbares, für viele Mongolen, ist er schon. Für nicht wenige ist er schon deshalb unerreichbar, weil sie ganz einfach nicht Reiten können. Dazu kommt, dass er nur von Anfang Juni bis Ende August wirklich schneefrei ist und es im Juli in der Taiga nur so von Pferdebremsen wimmelt.

Heute ist aber optimales Wetter, nahezu keine Wolken, kaum Wind und selbst hier in 2800 m Höhe um die 20 Grad warm.
Wie es so beim Blockschotter ist, der Abstieg wird kaum einfacher als der Aufstieg. Irgendwann nach drei endlos scheinenden Stunden Steinespringen ist der feste Boden wieder erreicht und die Pferde sind schon zu sehen. Es hätte ja auch durchaus anders kommen können, für Wölfe sind ein paar angebundene Tiere grundsätzlich interessant.
Spannend wird auch noch mal der Abstieg durch den schon beschriebene Schlucht. Die Pferde stemmen sich immer wieder gegen den Hang um nicht ins Rutschen zu kommen. Natürlich werden Sie an der langen Leine geführt, immer etwas seitlich vor dem Tier und zu einem Sprung bereit, sich zur Seite zu retten, wenn es doch vornüber stürzen sollte.
Die Sonne geht schon fast unter, als das Camp mit den verbleiben Pferden und dem als Wächter abgestellten Mitstreiter erreicht ist.


Ein Nebengipfel im Massiv des Asralt Chairchan

Der nächste Morgen beginnt wie der Tag vorher aufgehört hat, mit Sonne und fast wolkenlosem Himmel, man kann es schon als Glück bezeichnen, denn das Wetter in der Nordmongolei ist im kurzen Sommer doch eher wechselhaft. Bis zum Mittag sind etliche Kilometer geschafft, trotz dichten Gestrüpps und einigen tückischen Sumpflöchern. Die Mittagspause bietet sich an um schwarze Johannisbeeren zu sammeln. Oberhalb des Pfades, wachsen im Blockschotter dutzende Sträucher dieser Wildform, die ja eigentlich aus Zentralasien stammt. Die Beeren sind vollreif und kaum von der bei uns bekannten Zuchtform zu unterscheiden. Mongolen sind übrigens begeisterte Beerensammler, die oft ein ganzes Wochenende in entlegenen Tälern mit diesem Hobby verbringen. Die erwähnten Johannisbeeren, aber auch Heidelbeeren, Preiselbeeren oder Stachelbeeren findet man in den bewaldeten Gebirgen des Landes. Dazu kommen nach feuchter Witterung unglaubliche Mengen an Waldpilzen, die allerdings wenig bekannt sind und demzufolge seltener gesammelt werden.
Im Tal des Dsaan Flusses wird der Weg wieder deutlich besser und es geht entsprechend schneller vorwärts. Die Pferde gehen jetzt hauptsächlich im Trab und mal ein paar hundert Meter im Galopp sind sogar mit Packpferden möglich. Auf die Weise ist noch vor dem Abend der Tereldsch Fluss erreicht. Hier sind eine handvoll Leute damit beschäftigt Heu zu machen, die ersten Fremden nach nunmehr vier Tagen Wildnis. Sie sind mit einem russischen GAS 66 LKW hierhergekommen, ein echtes Geländevehikel, mit kurzem Radstand, natürlich Allrad und überdimensionierten Rädern. Mit solchen Maschinen, eigentlich Militär LKW, müssen auch die Reifenspuren weiter nördlich in den Boden gekommen sein. Nicht weit vom Heuplatz machen wir das letzte Lager, mit Blick auf den Fluss und zwischen üppigen Bergblumen. Es herrscht fast schon Trubel, hier am Tereldsch Fluss, nach einer halben Stunde kommen zwei Landcruiser vom WWF und halten direkt am Campplatz. Der erste Gedenke geht natürlich dahin, zu überlegen, was hat man jetzt falsch gemacht und wird man nun eine Belehrung erfahren. Die Besatzung in den Offroadern sieht aber eher nach Familie aus und statt einer Ermahnung kommt die Frage, ob es irgendwo in der Gegend Beeren zu sammeln gäbe, auch die mongolischen WWF Leute samt Freunden und Familie hat also das Beerensammelfieber gepackt. Wie geben ein paar Tipps und die Truppe fährt weiter Richtung Norden. Was bleibt ist die Frage, ob aktiver Naturschutz unbedingt erfordert dass man 50 Kilometer mit so einer Maschine im fast weglosen Gelände fährt, um ein paar Kilo Johannisbeeren mit nach Hause zu bringen. Da es aber schon Freitag Mittag ist, sollte man meinen, die WWF Leute machen jetzt Freizeit, zwar etwas zeitig, aber man kann ja Überstunden abbummeln.
Am letzten Morgen ist wohl auch den Pferden klar, dass es zurück geht und das Ziel nicht mehr so fern ist. Es klappt recht einfach, sie auch mal auf längeren Strecken in den Galopp zu bringen, einzig eines der Packpferde will nicht so richtig. Bis zum Mittag ist schon der Tereldsch Fluss überschritten und der Aufstieg zum letzten Pass beginnt.


Im Tal des Tereldsch Gol

Zunächst verläuft der noch gemächlich durch den dichten Wald, der angenehmen Schatten bietet, denn der Tag ist schon wieder richtig heiß. Als sicheres Zeichen, dass die Stadt nicht mehr allzu weit ist, tauchen plötzlich Montanbiker auf, ein dutzend Jugendlicher aus Ulaanbaatar denen man ansieht, dass sie solche Touren des Öfteren unternehmen. Mittendrin ein Geländewagen, der offensichtlich Zelte und andere Ausrüstung transportiert. Der Khentij ist also zumindest unter Mongolen schon nicht mehr nur ein Geheimtipp.
Die letzte Pause vor dem Steilanstieg zeigt, dass das Packpferd ziemlich am Ende seiner Kräfte ist, es hat sich hingelegt und will keine Anstalten machen wieder hochzukommen. Für einen Moment sieht es echt kritisch aus, aber mongolische Pferde können auch recht gut simulieren. Als es wieder steht zeigt sich, dass es zumindest in der Lage ist weiterzulaufen.
Auf der Passhöhe haben sich auch schon ein paar Städter eingefunden, die ein Picknick vorbereiten, sozusagen am Eingang zur Wildnis, denn von hier ab trifft man immer mehr Fahrzeuge, es ist ja auch Wochenende. Kaum 10 Kilometer unterhalb des Passes, wo die Landschaft schon zu richtig trockener Steppe geworden ist, schlägt das Wetter um. Am Horizont sind dichte Wolken auszumachen und sofort setzt Wind ein. Der Wind wird immer stärker und wirbelt verdammt viel Staub auf. Die Probleme mit dem angeschlagenen Packpferd werden auch größer, bleibt man stehen, legt es sich auf den Boden. Es wird also langsam Zeit, das Ziel zu erreichen. Eigentlich sollte der Jeep ein paar Kilometer entgegen kommen und wie schon auf dem Hinweg das Gepäck aufnehmen. Noch ist aber nichts zu sehen. Da das Wetter immer ungemütlicher wird sind, glaube ich, alle froh, als das Auto dann ein paar Kilometer vor Gatshurt entgegenkommt. Bis dahin hatte das Wetter ja nicht nur mitgespielt, sondern nahezu ideale Bedingungen geboten, damit war es auch nicht nötig den in Reserve gehaltenen Reisetag zu verwenden. Die letzten beiden Stunden im Sattel haben aber gezeigt, dass bereits ein kleiner Wetterunfall deutliche Verzögerungen bringen kann.
Wie zur Versöhnung endet die Tour aber, wie sie begonnen hat, mit Sonne. Der befürchtete Wolkenbruch bleibt aus und so schnell wie die Wolkenfront aufgetaucht ist, verschwindet sie wieder, eben typisch mongolisches Wetter, eigentlich kaum berechenbar.
Obwohl man nur kaum 100 Kilometer weit entfernt war, von dieser Stadt, hat man jetzt das Gefühl unendlich weit weg gewesen zu sein, weiter als bei einer Tour mit dem Geländewagen in die über 1500 Kilometer entfernten Täler des Altai. Die Fortbewegung mit dem Pferd und die Einsamkeit des Gebirges entführen den Reisenden weit über das hinaus, was er tatsächlich an Weg zurückgelegt hat. 

Jens Geu, 2011