Reiseberichte aus der Mongolei Jens Geu


Mit Monrise auf Tour über alle Breitengrade der Mongolei


Sieben Touristen, drei UAS Mini Busse und zwei Begleiter verlassen UB in Richtung Südgobi, eine Gruppe, wie sie nicht so selten unterwegs ist in den Steppen, Wüsten und Gebirgen der Mongolei. Auf der Strecke Richtung Süden ist man nicht allein als Tourist, schon wenige Kilometer nach der Stadtgrenze trifft die Reisegruppe auf Motorradfahrer aus Israel. Eine der Maschinen, die wahrscheinlich in UB gemietet worden sind, macht keinen guten Eindruck, kaum zu glauben, dass damit eine längere Strecke zu bewältigen ist. Es ist Juni und die Steppen sind satt grün, es hat kürzlich geregnet und auch sonst scheint das Jahr fruchtbar zu werden, für die Herden, das zahllose Vieh, das die Landschaft belebt. Die ersten hundert Kilometer ziehen sich hin, es werden mehr Fotopausen gemacht, als gefahren wird, die Motive scheinen nicht abzureisen, später, wenn das erste dutzend Filme verschossen ist, wird das anders sein, ein Kamel oder Adler ist dann kein Fotomotiv mehr sondern einfach nur Teil der Landschaft, aber heute am ersten Tag, ist alles noch ein Fotomotiv wert. Auch das erste Nachtlager ist noch etwas besonderes, zwar haben die meisten der Teilnehmer schon Touren in aller Herren Länder hinter sich, aber die Tatsache, dass dort, wo es gerade vom Zeitpunkt her angebracht erscheint, ohne vorherige Planung sieben Zelte aufgebaut werden, kurz darauf ein beachtliches Feuer lodert und man ungestört eine Nacht verbringen kann, diese Erfahrung beeindruckt doch noch so manchen Globetrotter.
                                                               

In den folgenden Tagen geht es streng Richtung Süden, mit jedem Breitengrad steigt die Temperatur, es ist Hochsommer in der Mongolei, der findet hier im Kontinentalklima eher statt als in Mitteleuropa. Zum Naadam, Mitte Juli, ist der Zenit dann bereits überschritten. Es wird schwer für die russischen Fahrzeuge, 40 Grad im Schatten, den es hier aber praktisch nicht gibt, machen der Kühlung zu schaffen. Kühlung gibt es erst im Gobialtai, genauer im Gurvan Saichan, dem südlichsten aller Gebirgsstöcke des Gobi Altai. Da vor hat aber die Route noch das Bezirkszentrum Dalanzadgad gesetzt. Auf dem Weg dahin taucht ein roter LKW am Horizont auf, in der Mongolei gibt es aber praktisch keine roten LKW, abgesehen von der Feuerwehr, für die diese Farbe vorbehalten bleibt. Täuscht die Hitze? Nein dieser LKW ist in der Mongolei mindestens genauso bekannt wie die Feuerwehr, es ist das fahrende monströse Bettenhaus eines deutschen Reiseveranstalters. Die meist recht betagten Passagiere freuen sich Landsleuten auf ihrer Abenteuertour zu begegnen und winken wie wild von ihrem Gefährt herunter, es fehlen nur noch die fliegenden Bonbons und der Karnevalswagen wäre perfekt.

                  

Die Zufahrt zur bekannten Geierschlucht verlangt dem Motor der UAS einiges ab. Die Strecke aus der brettflachen Schotterwüste an den Fuß des eigentlichen Gebirges sieht recht harmlos aus, aber völlige Windstille, 40 Grad Lufttemperatur noch in der Abenddämmerung und einige Prozent Anstieg lassen einen der UAS kochen. Da hilft nur Anhalten und Warten, aber unter den Bedingungen dauert es mindestens eine halbe Stunde, bis die Wassertemperatur wieder im vertretbaren Bereich ist. Der russische UAS Mini Bus ist weder als Sportgerät, noch zum Flanieren auf Großstadtmeilen konstruiert, er ist einfach die beste Wahl, wenn man im weglosen Gelände, ohne Werkstattservice 5 Personen samt Gepäck auch mal durch einen halbmeter tiefen Fluss transportieren muss.

An der Einfahrt zur eigentlichen Geierschlucht sieht es so aus, wie schon seit zwanzig Jahren, ein paar windschiefe kleine Bauwerke beherbergen eine Ausstellung, den Souvenirshop und die Kasse der Nationalparkverwaltung, etwas ist aber anders geworden im Vergleich zu früheren Jahren, die Beamten weisen ausdrücklich daraufhin, dass die Schlucht bis 20 Uhr verlassen sein muss und das bedeutet, es gibt keine legale Möglichkeit mehr um dort zu übernachten. Etwas schade um den schön gelegenen Zeltplatz aber andererseits gibt es außerhalb der begrenzten Schlucht natürlich unzählige schöne Plätze und man kann anderen Gruppen aus dem Wege gehen, denn in den vergangenen Jahren war man mit Sicherheit nicht mehr allein mit seinem Zelt in dem engen Tal. Hier ist genügend Platz und der warme Wind aus der Wüstenebene erreicht auch noch die Lagerfläche.

Bei der Verteilung der Aufgaben für die Abendmahlzeit, ergibt sich heute ein besonderer Job, Schnittlauch ernten, nahezu alles grüne wird hier von Lauchgewächsen gebildet, es hatte vor kurzem geregnet und damit ist alles grün, zumindest in diesem Teil der Wüste. Weitere Zutaten zur Abendmahlzeit sind Eier, die kann man zwar nicht hier einfach aufsammeln und Hühner gibt es hier im Umkreis von einigen hundert Kilometern nicht, aber heute kann man so etwas in jedem Aimakzentrum kaufen, dank Flugzeug und industrieller Haltung ist so etwas heute praktisch im ganzen Land verbreitet, worüber man vor 20 Jahren sogar noch in UB die Nase rümpfte. Den Rest des Menüs bildet Kartoffelbrei aus deutschen Tüten.

Eine Wanderung in der Geierschlucht gilt natürlich deren Hauptattraktion, dem fast ewigen Eis am Grund der Schlucht, aber die Landschaft ist insgesamt spektakulär, die steilen Felswände, die sich bis auf wenige Meter zusammenschieben, die spitzen Gipfel und Grate und die blumenreichen Almen in den breiteren Hochtälern, Kulissen wie im Film. Wer keine Konditionsreserven hat wird sicherlich nur das Schluchteis kennen lernen, aber für einen Aufstieg zu einem der Gipfel finden sich immer noch Mitstreiter. Die werden nach zwei drei Stunden mit einem grandiosen Ausblick belohnt, unter sich die grünen Wiesen und weit draußen die ewige, weite Wüste. Richtig heftig wird das Kontrastprogramm, wenn man vom Eis der Geierschlucht das nächste Nachtlager in die mächtigen Sanddünen des Hungrijn Els verlegt. Allerdings erfordert dieses Programm auch einiges von den Teilnehmern ab. Die Piste ist für Fahrzeuge und Insassen recht belastend und man benötigt für die etwa 120 Kilometer fast 5 Stunden Fahrtzeit, vorausgesetzt, man findet immer die ideale Spur, gerade bei der Überquerung des Gebirgszuges kann man schnell auf einen Umweg geraten und die Nacht am Hungrijn Els muss dann irgendwo in der Schotterwüste stattfinden.


Es klappt aber alles und der Sand ist bei Einbruch der Dunkelheit erreicht, die Temperaturen liegen selbst um Mitternacht noch bei 30 Grad und es herrscht Windstille, eigentlich zu still. Bereits eine Stunde später ändert sich das Bild, plötzlich kommt starker Wind auf, in heimatlichen Regionen würde sich jetzt ein Wärmegewitter entladen, aber hier ist die Luft immer noch wolkenlos, aber der Wind oder die besser die warmen Luftmassen ziehen wie von einem Sog ergriffen Richtung Norden und verfrachten dabei Unmengen von Sand, der durch die Reisverschlüsse der Zelte gedrückt wird und selbst eine verpackte Kamera unbrauchbar macht. Wer sein Zelt auf lockerem Sand errichtet hat liegt am Morgen außerhalb der Waagerechten, der Sturm hat den Sand unter der zugewandten Seite des Zeltbodens etliche Zentimeter abgetragen kleine, formschöne Dünchen um das Zelt errichtet. Alles kein großes Problem, solange man nicht Kochen oder Essen muss, denn dann knirscht es ziemlich zwischen den Zähnen. Bis zum Frühstück ist das Spektakel aber wieder vorbei und die Marmelade schmeckt nach Marmelade und nicht nach Staub und Sand.

Am Mittag ist die Mitte der weit über 100 Kilometer langen Dünenkette erreicht und dort auch die höchste aller mongolischen Sandberge. Dort teilt sich die Gruppe, in Gipfelstürmer und Flachländer. Wer den Elan hat, geht die Besteigung der Düne an, der andere Teil lässt einfach die Eindrücke in Ruhe auf sich wirken. So eine Besteigung dauert etwa um die zwei Stunden, runter geht es dann in wenigen Minuten, der Eindruck aber, den man gewinnt, wenn man auf dem messerscharfen Grat aus fast weißem Sand, 200 Meter über der endlosen Ebene steht entschädigt für den doch mühevollen Aufstieg.
 
                                                                                    
Von hier ab reduziert sich der Konvoi auf zwei Fahrzeuge, ein Minibus fährt vom Hungrijn Els die kleine Gobi Tour weiter und wird in vier Tagen schon wieder in der Hauptstadt sein, vor den anderen liegt erstmal eine hundertfünfzig Kilometer Etappe durch eine praktisch unbesiedelte Landschaft, die mit ihrer landschaftlichen Eigenart aber selbst in der Gobi ihresgleichen sucht. Berge in allen möglichen Gesteinsfarben, Wüstenpflanzen, die nur in der Gobi vorkommen, Sanddünen und mystische Trockenflüsse bestimmen das Bild von einer extrem unwirklich wirkenden Landschaft. Etwa auf halber Strecke zeichnet sich das feurige Abendrot am Horizont ab, es ist höchste Zeit das Camp für die Nacht einzurichten. Im Gegensatz zu manchen Steppenregionen ist es hier kein Problem Feuermaterial zu finden, die Wüste ist voller Sträucher, auch Saksaulbäume sind da, von denen natürlich nur abgestorbene Reste auf das Lagerfeuer wandern. Auch nach Einbruch der Dunkelheit will die Temperatur kaum sinken, aber der Kaminwind vom Vortag ist ebenfalls wieder da. Für ein größeres Campfeuer ist der zu stark und so liegen am nächsten Morgen noch Berge von Feuerholz am nächtlichen Lagerplatz, für die nächsten Gäste, aber das kann Monate dauern, denn für gewöhnlich rechnet man auf diesem Streckenabschnitt nicht in Fahrzeugen pro Tag, sondern in Tagen pro Fahrzeug, da kommt es selbst zu dieser Jahreszeit selten vor, dass sich Fahrzeuge begegnen.

       

Hat es einmal eines der gewaltigen Gobi Gewitter gegeben geht hier tagelang gar nichts mehr, denn die Piste verläuft auf etwa zehn Kilometern durch einen Lößsumpf, der dann für kurze Zeit zum See wird und noch tagelang völlig unpassierbar bleibt, glücklicherweise ist jedoch Regen hier ein seltenes Ereignis. Wie sehr das Bild der Gobi von Regenfällen verändert werden kann zeigt sich in den nächsten Tagen, während die Schnittlauch-Ebenen der östlichen Gobi bis weit in den Süden satt grün erschienen, geradezu üppig grün, sieht die von Wüstensträuchern geprägte Übergangszone zu den Steppen des Changai braun, vegetationslos und nochmals braun aus. Ein Bild, wie es sich sonst eher umgekehrt darstellt. Regenfälle im Osten und Trockenheit im Westen haben die Landschaft, zumindest für einige Wochen, verwandelt, lediglich in den Flusstälern ist das Grün noch üppig.
                                                                                        

Selbst am Otgon Tenger, dem höchsten Gipfel des Changai, fehlt der sonst so satt grüne Teppich, der eigentlich bis fast an die Schneegrenze heranreicht. Nur die kniehohen Sträucher tragen neben ihren gelben Blüten kleine grüne Blätter, die Gräser in der Hochgebirgstundra taugen aber nur als Trockenblumen fürs Herbarium.
Hier am Otgon Tenger sind zwei Übernachtungen eingeplant, wohl wissend, dass es die kältesten Nächte der Tour werden, denn nach dem Sonnenuntergang sackt das Thermometer in zweieinhalbtausend Meter Höhe auf etwa null Grad und der Wind von der Eiskappe des Berges Berg tut sein Übriges. Das sind aber Unannehmlichkeiten, die man gern in Kauf nimmt, wenn am nächsten Morgen der Berg wolkenfrei in unmittelbarer Nachbarschaft liegt, fast greifbar, aber doch kaum erreichbar.


Nur ein kleiner Teil der Gruppe nimmt die Strapazen auf sich und macht sich in Richtung Otqon Tenger auf den Weg. Nach einigen Kilometern flacher Anstiege durch Sümpfe, Gestrüpp und Findlinge ist erst der Fuß der eigentlichen Pyramide erreicht. Hier wird es steiler, etwa 45 Grad und der Blockschotter liegt ziemlich locker. Das Wetter ist jedoch nahezu ideal, keine Wolke steht am Berg, eher ungewöhnlich für den Himmelsgott Otgon Tenger, aber die Voraussetzung, dass man überhaupt weiter steigen kann. Irgendwann, hoch oben im Firn, ist aber dann auch für den letzten Kämpfer die Zeit zum Rückweg herangereicht.

                                                                                         

Unten ist inzwischen ein herbeigebrachtes Schaf geschlachtet worden und siedet jetzt mit glühenden Steinen in einer großen Aluminiummilchkanne, der traditionellsten Art der Zubereitung von Fleisch in der Mongolei, nur hat man früher keine solche Kanne besessen und es bis dahin im eigenen Balg gegart.

Irgendwo in dieser Region um den heiligen Berg soll auch entfernte Verwandtschaft eines der beiden Fahrer wohnen. Zu diesem Zweck wird am nächsten Tag beim Einkauf im Laden des Kreiszentrums ausführlich recherchiert. Irgendetwas über die Familie oder den Aufenthaltsort kann da fast jeder beitragen, aber so richtig weis es doch keiner. Es bleibt also ein Suchen und Nachfragen, aber letztlich wird die Jurte doch gefunden und sie liegt sogar noch irgendwie in der Richtung in der auch die Reiseroute verläuft, kein großer Umweg also. So eine Möglichkeit ist aber wirklich günstig um etwas vom Alltag bei den Viehzüchtern vermittelt zu bekommen, ohne jemandem mit der Tür in das Haus oder besser die Jurte zu fallen.

Der Ail, im Deutschen würde man wohl Jurtenbauernhof dazu sagen, besteht aus vier Rundzelten und jeder Menge Vieh. Es ist Sommer und damit sind auch wesentlich mehr Personen anwesend als für gewöhnlich zu einem solchen Ail gehören. Die jungen Leute sind ebenso wie die Schulkinder aus der Siedlung in die Steppe gekommen um die warmen Tage hier zu verbringen. Der flüchtige Reisende erhält damit einen falschen Eindruck, denn beispielsweise arbeitet die Tochter der Familie, die hier ihr Kleinkind wiegt, als Lehrerin im Aimakzentrum und ein etwa zwanzigjähriger Sohn studiert in Ulaanbaatar. Man kann als Fremder auch kaum unterscheiden, wer wirklich als Viehzüchter ganzjährig hier draußen lebt und wer nur noch Sommergast ist. Der in westlichen Medien viel beschriebene Kontrast zwischen dem Stadt- und dem Landleben in der Mongolei stellt sich eigentlich so nicht dar. Innerhalb einer Generation wird oft aus einem Viehzüchter Kind ein Stadtmensch, der dort genauso gut zurecht kommt, wie vordem in der Steppe und nahezu jeder der heute noch draußen Vieh züchtet hat als Kind eine Schule in einer Siedlung besucht und dort das Leben in festen Häusern und mit allem was dazu gehört erlebt.

Ein landschaftliches Kontrastprogramm ist aber garantiert, auf einer Reise um den westlichen Changai, nachdem die Jurten der Viehzüchter auf satt grünen Wiesen so richtig den landläufigen Vorstellungen von Mongolei entsprechen könnten, liegt der abendliche Lagerplatz wieder inmitten von hohen Sanddünen die durch von Wüstenlack überzogene Felsspitzen durchbohrt werden, der Mongol Els ist erreicht, das größte und geheimnisvollste Sandgebiet der Mongolei. Zwischen diesen Sandbergen versickern die Flüsse des Changai oder sie magern zumindest ab, bis sie im Nord- Westen endgültig in einem der großen Salzseen ihren Lauf beenden.
                                                             

Entgegen dem sonst üblichen Verlauf geht die Reiseroute diesmal nicht über den Changai zurück in Richtung Ulaanbaatar, sondern streng in nördliche Richtung zum Khuvsgul See. Vorbei an der Ostsee, dem Dsuun Nuur, und über mehrere Pässe erreicht der kleine Konvoi nach reichlich zwei Wochen die Bezirkstadt Murun. Neben der Möglichkeit Lebensmittel zu beschaffen bietet heute ein Bezirkszentrum auch die Chance bei Bedarf zu telefonieren. Heute sind alle Bezirkszentren für den Funktelefonverkehr erschlossen. Murun war bis zum vergangenen Sommer das letzte derartige Funkloch in der Mongolei, heute wird an jeder Ecke telefoniert, geradeso als ob man da etwas nachzuholen hat aus den Jahren ohne Handy.

Weniger gut ist die Versorgung mit Elektroenergie, plötzlich fällt für die vierzigtausend Einwohnersiedlung der Strom aus und damit auch die Möglichkeit zu tanken, denn während man auf dem Lande hauptsächlich mit einer Kurbel an der Zapfsäule arbeitet, wird hier elektrisch gepumpt oder wie in dem Fall gar nicht. In kurzer Zeit bilden sich beachtliche Schlangen vor den Tankstellen und es sieht nach einer Benzinkrise aus, allerdings sind die Tanks gefüllt, aber der Kraftstoff liegt fast unerreichbar in den unterirdischen Behältern. Nach einer Stunde wird mancherorts begonnen Notstromaggregate flott zu machen, was sich aber auch als nicht so einfach erweist. Irgendwie sind dann die Autos doch noch voll getankt und es geht mit ziemlichen Tempo weiter Richtung Norden, in den letzten Zipfel des Landes, zum kleinen Baikal der Mongolei. Wobei letzter Zipfel nur geografisch gemeint sein kann, denn gleich zwei Fluggesellschaften transportieren heute schon täglich Touristengruppen an den beeindruckenden See, hauptsächlich Japaner, aber auch immer mehr Europäer. Den Beweis dafür gibt es auch gleich, auf der Landspitze, die bisher immer als Lagerplatz für die Khuvsgulreisen gedient hat, versperrt ein Zaun die Fahrt zum Ufer. Einer der vielen mongolischen Business Leute, die heute auch im Tourismus ihr Glück versuchen hat das Areal abgesperrt, ein Holzhaus und ein paar Jurten hingestellt und wartet nun auf betuchte Touristen. Eigentlich war staatlicherseits geplant die Ostküste des Sees frei von touristischen Anlagen zu belassen, aber für ein paar Dollar bekommt man eben gleich die Zustimmung des Ministeriums, da braucht man in der zuständigen Bezirksverwaltung gar nicht erst zu fragen.

Eigentlich war genau diese Stelle der vereinbarte Treffpunkt mit einer weiteren Gruppe, die seit einigen Tagen mit Pferden am See unterwegs ist. Die Zelte entdecken wir etwas abseits an einer Flussmündung. In der sonst menschenleeren Taiga der Ostküste, zerstört die nahe Touristenbasis wirklich den Eindruck und entgegen den Planungen wird am Morgen der Ruhetag geopfert und die Tour zur nächsten, garantiert menschenleeren Bucht, weitergeführt. Sind die Wege in der Mongolei im allgemeinen schlecht, hier an der Ostküste des Khuvsgul sind sie jämmerlich, der kurze Trip von kaum 20 Kilometern kostet über 2 Stunden. Die UAS schwanken von einem Schlammloch ins nächste, das Gelände ist sumpfig und schwer einschätzbar. Theoretisch liegt am Ende des Sees der Munkh Sardyk, der mit Abstand höchste Berg der Region, ein wirklich lohnendes Ziel, aber wer bis dahin kommt und nicht mit dem Boot oder Helikopter angereist ist, der hat mit Sicherheit die mongolische Autofahrer Hölle kennen gelernt.
                                                                        

Die Romantik des Ostufers ist aber die Strapazen wert, dichte Taiga und Steilküste mit brandenden Wellen gegen den Kiesstrand, wechseln mit Steppenwiesen und Sümpfen an den flacheren Buchten, immer die Kulisse der schroffen Berge an der Westküste vor Augen und oft ein wechselndes Spiel von tiefen Wolken und Sonne über dem See. Der Khuvsgul See hat sein eigenes Klima, extrem wechselhaft, fast schon chaotisch aber nicht ohne eigene Faszination. Auch an diesem Abend spielt es die ganze Palette des Möglichen. Nach zwei Stunden Dauerregen inmitten tiefer Wolken, öffnet sich über der Bucht der Abendhimmel, ein bizarres Lichtspiel über dem See zeigt im Westen ein Gewitterschauspiel und im Norden ein Abendrot am Schönwetterhimmel. Von Regengüssen, die uns durchgeweicht haben werden die Reiter, die schon wieder Richtung Süden unterwegs sind, beim Treffen am nächsten Tag nichts erzählen, bei ihnen keine zwanzig Kilometer entfernt schien bis zum Abend die Sonne.

Der Regen fordert am nächsten Tag seine Opfer die Piste ist noch kritischer als am Vortag. Ein LKW ist mit seinem rechten Vorderrad komplett im Sumpf versunken, die Szene sieht verloren aus, doch drei junge Kerle versuchen mit Baumstämmen und Wagenhebern seit Stunden das Gefährt wieder in eine halbwegs waagerechte Position zu bringen, wenn das gelungen ist müssen noch Baumstämme unter die Räder geschoben werden und dann hat der russische Sil, was soviel wie Starker bedeutet, eine reale Chance weiterzukommen. Einige gerissene Trosse zeugen davon, dass diese Stelle häufig zu unfreiwilligen Aufenthalten einlädt. Ein paar Fuhren Schotter könnten das Problem vielleicht sogar für ein paar Sommer lösen, aber man hat sich scheinbar damit abgefunden, nach jedem Regenguss Autos auszugraben und hat dazu schon recht effektive Technologien entwickelt. Im Winter ist der Transport hier relativ einfach gelöst, man nutzt einfach den zugefrorenen See als Autobahn. In Anbetracht des enormen Komfortgewinnes zum Landweg möchte aber so mancher den Zeitpunkt der entsprechenden Eisdicke auf dem See nicht abwarten und versinkt bei zu dünnem Eis. Etliche LKW liegen bereits auf dem Grund des Gewässers.


An der Südspitze des Khuvsgul liegt die Gemeinde Chatgal, sozusagen das touristische Zentrum der Region. Der Ortskern erinnert heute an eine Kulisse aus einem Italo-Western. Blockhäuser mit kleinen Balkons und überdimensionierten bunten Werbeschildern künden vom wirtschaftlichen Erfolg der ansässigen Händler. Verkauft wird hauptsächlich dass, was der Japaner noch braucht um sich einen lustigen Abend in einer der zahlreichen Touristenbasen machen zu können oder was sich der Chatgaler unter Zivilisation vorstellt, Bier, Wein, Schokoriegel, Kaugummi und Chio Chips in zahlreicher Auswahl, Batterien, Konserven oder Kartoffeln sucht man vergebens. Früher war der Ort bekannt für sein wirklich gutes Schwarzbrot, aber das gibt es zumindest heute auch nicht, wozu auch, Toffifee machen ebenfalls satt und bringen mehr Umsatz bei weniger Aufwand.

Unterhalb der Siedlung, am Egijn Gol, dem Abfluss des Khuvsgul, trifft die Off-Road Gruppe wieder auf die Teilnehmer der Reittour, die sich schon im Abendlager eingerichtet haben. Die Wiese für das gemeinsame Lager am glasklaren Fluss ist über und über mit Edelweiß bestanden, Mongolen stopfen sich mit dieser Blume das Kopfkissen aus, als Mittel gegen Kopfschmerzen und für gute Träume. Für einige aus der Gruppe wird das die letzte Steppennacht, denn der Job in Deutschland zwingt zur Heimreise. Sie steigen am nächsten Tag in Murun in ein Propellerflugzeug und sind damit in 2 Stunden in Ulaanbaatar, für die Anderen werden auf dem Landweg für dieselbe Strecke noch drei Tage vergehen.

Jens Geu, Sommer 2004